Die Welt verständlicher und voraussehbarer machen

Autor

Anne-Sophie Ledermann

Veröffentlicht am

Menschen mit einer Beeinträchtigung sind oft mit Barrieren beim Zugang zu medizinischen Leistungen konfrontiert. Dies gilt gerade auch für Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Oft fehlt dem Gesundheitspersonal das entsprechende Wissen. Ein Online-Training bietet hier konkrete Hinweise, wie Fachpersonen die Beratung von Menschen mit ASS verbessern können.

Im Auftrag der Philanthropischen Stiftung Next haben Delphine Roduit, Dozentin an der Fachhochschule La Source, und Jérôme Favrod, ordentlicher Professor und klinischer Fachkrankenpfleger, das Online-Training «ici Tous Sont Accueillis» (ici TSA, auf Deutsch : Hier sind alle willkommen) entwickelt, in dem sie konkrete Lösungen und Antworten zur Verbesserung der Beratung von ASS-Personen mit oder ohne geistige Beeinträchtigung geben. Die Schulung ist kostenlos, für alle zugänglich und interaktiv, u. a. mit Videos, Erklärungen von Experten und Fragebögen.

Der Sonderpädagoge erklärt den Ablauf der Konsultation.

Manchmal muss man kreativ sein und die Abläufe ein wenig anpassen, aber das ist sinnvoll. Keine Pflegeperson ist zufrieden, wenn eine Konsultation schlecht verläuft. Es ist eine Bereicherung, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen zu begegnen und gemeinsam den Erfolg der Pflege aufzubauen.

Warum haben Sie die Ausbildung auf die somatische Pflege konzentriert?

Delphine Roduit: Der Bedarf besteht überall, aber das Projekt begann mit Blutentnahmen, Blutdruckmessungen und EKGs. Das ist der Check-up, den jeder machen können sollte. Da es für Menschen mit ASS viele Hindernisse gibt, zu einem Arztbesuch zu kommen, schieben sie es so lange wie möglich hinaus. Schliesslich ist es oft so, dass sie erst dann einen Arzt aufsuchen, wenn sich die gesundheitliche Situation wirklich verschlechtert hat oder die Person in ihrem Alltag stark eingeschränkt ist. Arztbesuche können traumatisch sein, wenn die besonderen Bedürfnisse der Menschen nicht berücksichtigt werden.

Wodurch unterscheidet sich Ihre Methode grundlegend von einem herkömmlichen Pflegeverfahren?

Jérôme Favrod: Bei ASS oder geistiger Beeinträchtigung kann die Welt unverständlich und unvoraussehbar werden. Dann versucht man, sie verständlicher und voraussehbarer zu machen, und das funktioniert. Es gibt so einfache Mittel: Man kann die Praxis besuchen, Fotos vom Ort, den beteiligten Personen oder der Behandlung, die man durchführen wird, machen. Man kann sie den Patientinnen und Patienten zeigen, damit sie sich auf die Konsultation vorbereiten können. Man sollte sich auch Zeit nehmen, um auszuprobieren, was am besten passt. Man sollte versuchen, die «Gebrauchsanweisung» der Person zu verstehen. Die Fachleute dafür sind Angehörige, Eltern oder Erziehungspersonen.

Delphine Roduit: Oft werden die Eltern in ihrer elterlichen Expertise nicht berücksichtigt. Dabei sind sie es, die dem Pflegepersonal schnell Orientierung geben und bei der Konsultation praktische Ratschläge erteilen können. Es kommt aber auch vor, dass die Angehörigen zu sehr einbezogen werden und man ihnen die Verantwortung für den Erfolg der Pflege überträgt. Wenn man im Vorfeld zusammenarbeitet, kann man die Vorhersehbarkeit erhöhen. In Wirklichkeit bedeutet sich Zeit nehmen Zeit zu gewinnen. Manchmal muss man kreativ sein und die Abläufe ein wenig anpassen, aber das ist sinnvoll. Keine Pflegeperson ist zufrieden, wenn eine Konsultation schlecht verläuft. Es ist eine Bereicherung, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen zu begegnen und gemeinsam den Erfolg der Pflege aufzubauen.

Jérôme Favrod: Nach der Konsultation ist es sehr wichtig, dass die Gesundheitssysteme die Informationen speichern und diese weitergeben können.

Delphine Roduit: Notizen zu machen, kann die Eltern sehr entlasten und die nächste Pflege vereinfachen. Es geht etwa darum, sensorische Bedürfnisse zu notieren und in der persönlichen Akte des Patienten oder der Patientin festzuhalten, was gut oder schlecht funktioniert hat.

Es gibt einen Mangel an Wissen im Zusammenhang mit ASS auf Seiten der Ärzteschaft. Besuchen Ihre Studierenden Kurse über die Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen?

Jérôme Favrod: Selbst in einer Krankenpflegeschule, in der die Leute sensibilisiert sind, ist es ein Kampf, diese Kurse zu bekommen. Jedes Mal, wenn der Lehrplan überarbeitet wird, sind es immer diese Kurse, die verschwinden könnten, also muss neu verhandelt werden.

Delphine Roduit: Wir setzen uns dafür ein, dass Personen mit ASS als Peer Practioners bei der Ausbildung mitwirken, weil die Aussagen von Betroffenen eine grosse Wirkung haben. Das ist eine Form der Sensibilisierung. Es geht darum, dass sich alle Pflegekräfte angesprochen fühlen, denn Patientinnen und Patienten mit ASS trifft man in allen Bereichen der Pflege an. Als wir zum Beispiel mit Peer Practitioners und einer Gruppe von Studentinnen Workshops durchführten, sagten uns die Studentinnen danach, dass sie nie wieder auf die bisherige Art und Weise pflegen würden.