«Es braucht lokale Unterstützung im Quartier»

Autor

Karin von Moos

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Wie verbringen Kinder mit kognitiver Beeinträchtigung ihre Freizeit? Sind die Angebote ausreichend und entsprechen sie den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder? Karin von Moos, Mutter der 9-jährigen Eline und Mitglied von insieme Luzern, erzählt von ihren Erfahrungen.

Eline ist eine stolze 2.-Klässlerin. Sie geht in einer altersdurchmischten Regelklasse in der Stadt Luzern zur Schule und nutzt an zwei Tagen in der Woche das Hortangebot. Sie ist gut aufgehoben, erzählt viel und gerne von ihren Freundinnen und Freunden, von Gspänlis und anderen Kindern. Auch Rechnen, Lesen und Schreiben klappt ihrem Tempo entsprechend gut.

 

Wie und mit wem Eline gerne ihre Freizeit verbringt?

1x die Woche geht’s zum Reiten (Therapie) und anschliessend in den Schwimmkurs – beides in ihrer Freizeit und aus unserer Sicht notwendig, damit ihre Muskulatur und auch ihr Selbstbewusstsein gestärkt wird. Schwimmen lernen ist ebenfalls elementar, da wir in Seenähe wohnen. Weiter besucht sie 1x die Woche ein Sportangebot der Stadt Luzern, Trendsport für Mädchen – ein tolles Bewegungsangebot.

Kann Eline ihre Freizeit so verbringen, wie sie das möchte?

Ich zähle jetzt mal alles auf, was Eline sich wünscht (und ich auch gut fände) aber nicht möglich ist: Flötenunterricht, Karate oder Schwingen, Chinderchor, Velo fahren ohne Mama, Geburtstage feiern – den eigenen mit Gspänlis und bei den Gespänlis zuhause, alleine im Quartier Katzen suchen, mit dem Nachbarshund spazieren gehen, Pfadi, Freunde besuchen. Die Antwort auf die Frage, ob sie ihre Freizeit so verbringen kann wie sie es möchte oder wie ich es für gut befinden würde, lautet klar: NEIN.

"Und süsch so?"

Um die UNO Behindertenrechtskonvention im Freizeitbereich umzusetzen, hat insieme Schweiz das Projekt «Und süsch so?» lanciert.

Welches sind die Hindernisse?

Eline möchte vieles alleine machen oder zumindest ohne Mama. Dieser Wunsch nach Unabhängigkeit ist sehr ausgeprägt. Da sie aber keinerlei Gefühl für Zeit und Ort hat und sich nicht verständlich durchfragen kann, muss sie ständig beobachtet oder zumindest in einem geschützten (sprich abgesperrten) Rahmen sein. Wann immer Eline raus möchte, muss Mama auch Zeit haben. Das geht nicht immer, ausser ich würde meinen Job aufgeben. Das triggert mich natürlich einigermassen – Stichwort Chancengleichheit auch für Mütter mit Kindern mit Beeinträchtigung.

 

Viele Kinder im Quartier im ähnlichen Alter, jedoch ohne Beeinträchtigung, bewegen sich oft schneller von einem Setting ins nächste und sind auch motorisch agiler. Eline verliert schnell den Anschluss, und alle Beteiligten brauchen Brückenbauerinnen oder Brückenbauer, die ein Zusammenspiel bzw. den Anschluss wieder ermöglichen.

Für jede Aktivität braucht Eline zudem viel Energie, Personal und Organisation. Davon hat es im Alltag manchmal einfach nicht genug.

Wenn im Reitlager zusätzlich eine Assistenz gestellt wird, bringt das entweder doppelte Kosten mit sich und braucht den Goodwill von der Lagerleitung, die das dann halt ohne Beiträge irgendwie organisiert. Das ist toll, wenn das vorhanden ist und wahnsinnig anstrengend, wenn ich oder Eline ständig Bittstellerin sein müssen.

Wie wünsche ich mir, dass Eline künftig ihre Freizeit gestalten kann?

Eline muss Selbstständigkeit üben, das steht ausser Frage. Das ist in kleinen Schritten möglich. Ich bin überzeugt, dass die gewohnte Umgebung, das Quartier eine ideale Ausgangslage dafür ist. Der soziale Radius kann so langsam erweitert werden. Eine «Pfadi trotz Allem» am anderen Ende der Stadt nützt also nichts – sie kennt die Personen dort nicht, trifft sie auch nicht im Quartier an und kann sich kein Netzwerk aufbauen. Dies ist aber für Elines Selbstständigkeit zwingend. Den Trendsport z.B. kann Eline nur besuchen, weil das Angebot auf dem Schulareal und unmittelbar nach dem Unterricht stattfindet und die Klassenassistenz bereit ist, Eline dorthin zu begleiten. Und ich muss um 16.30 Uhr zur Abholung bereitstehen. Ändert sich die Sportzeit, das Angebot oder will die Klassenassistenz die 10 Minuten nicht mehr leisten, geht es nicht. Abgesehen von der Sportleitung, die bereit sein muss, Eline gezielt mit einzubeziehen und im Auge zu behalten. Das sind recht viele Variablen zu Ungunsten von Kindern mit Beeinträchtigung.

Karin von Moos

Die Antwort auf die Frage, ob sie ihre Freizeit so verbringen kann wie sie es möchte oder wie ich es für gut befinden würde, lautet klar: NEIN.

Karin von Moos, Mutter von Eline

Was braucht es, damit Eline ihre Freizeit so verbringen kann, wie wir das möchten?

Es braucht für alles (Schule, Freizeit, Familie) lokale Unterstützung im Quartier und zwar in Form von Menschen, die physisch verfügbar sind. Viel Wissen ist vorhanden, Geld manchmal auch, der gute Wille ebenfalls – nur die Umsetzung ist schwierig.

Viel Wissen ist vorhanden, Geld manchmal auch, der gute Wille ebenfalls – nur die Umsetzung ist schwierig.

Mit Sicherheit gibt es in jedem Quartier Menschen mit Zeit, Wissen, Verständnis und Wille, Begleiteinsätze zu leisten. Aber wie können sie erreicht und mobilisiert werden? Ich weiss es nicht, es gelingt immer nur situativ und mit Glück. Vielleicht wäre das ein neues Projekt? «Begleitperson im Quartier» könnte ein Arbeitstitel sein.