Gewöhnung an Besuch beim Frauenarzt

Autor

Lise Tran

Veröffentlicht am

Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der Universität Genf beschäftigte sich Luana Veraguth mit dem Zugang zu gynäkologischen Versorgungsangeboten für Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung. Wir haben mit ihr über ihre Studie gesprochen.

An Ihrer Studie haben zwei Frauen teilgenommen. Was für Erfahrungen hatten sie mit frauenärztlichen Behandlungen gemacht?

Alice, eine Frau in den Dreissigern, war schon mal beim Frauenarzt. Dabei machte sie eher negative Erfahrungen. Diana, Mitte 40, wartete auf einen Eingriff zur Entfernung von Polypen, die starke Schmerzen und Blutungen verursachten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei Beschwerden gehabt und war noch nie beim Gynäkologen gewesen. Aus kulturellen Überlegungen und weil sie keine sexuellen Kontakte hatte, hatte ihr Umfeld einen Besuch beim Gynäkologen nicht als notwendig erachtet. Beide Frauen verfügten über gute kommunikative Fähigkeiten.

Hatten sie spezielle Bedürfnisse hinsichtlich einer gynäkologischen Behandlung?

Alice fiel der Besuch in der Praxis schwer, weil sie beim Einsetzen der Spirale schmerzhafte Erfahrungen gemacht hatte. Angst und Unsicherheit dominierten ihr Empfinden. Für sie war es deshalb wichtig, Entspannungstechniken zu erlernen, die sie beispielsweise beim Einführen des Spekulums anwenden konnte. Diana benötigte Informationen über die anstehende Behandlung zur Entfernung der Polypen.

Luana Veraguth

Manche gynäkologischen Fachpersonen verstehen nicht, warum sich Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung untersuchen lassen sollten, wenn sie nicht sexuell aktiv sind. Diese Haltung zeugt von Unwissenheit und infantilisiert die Frauen, wodurch ihre Autonomie und ihre Ausdrucksfähigkeit eingeschränkt werden.

Luana Veraguth, Autorin einer Masterarbeit über den Zugang zu gynäkologischer Versorgung für Frauen mit einer kognitiven Beeinträchtigung

Wie sah Ihre Forschungsarbeit konkret aus?

Ich habe ein Programm entwickelt, das Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung schrittweise mit gynäkologischen Untersuchungen vertraut machen soll. Um die nötige Vertrauensbasis zu schaffen, traf ich mich vorgängig mit den beiden Teilnehmerinnen. Ich präsentierte ihnen den Inhalt der Forschungsarbeit in Leichter Sprache und erklärte ihnen die Bedingungen. Sie hatten jederzeit die Möglichkeit, ihre Teilnahme abzubrechen oder Fragen nicht zu beantworten.

Wir arbeiteten unter anderem mit Arbeitsblättern. Eines zeigte eine Szene, in der die Patientin ihren Gynäkologen um ein Laken bittet, um den Intimbereich bedecken zu können. Dadurch wurde Alice klar, dass sie sich wohler fühlt, wenn sie zugedeckt ist. Sie über die Möglichkeit zu informieren, nach einem Tuch zu fragen, war wichtig. Ebenso, zu wissen, dass sie sich zum Beispiel von einer Vertrauensperson begleiten lassen darf, die während der Untersuchung ihre Hand hält. Ausserdem übten wir Atemtechniken. Mit Diana legte ich den Fokus darauf, was man bei der Gynäkologin sagt, welche Symptome auftreten können und welche Untersuchungen möglicherweise durchgeführt werden. Ich verwendete Piktogramme, um die Kommunikation einfacher zu gestalten.

Ausserdem übten wir Atemtechniken. Mit Diana legte ich den Fokus darauf, was man bei der Gynäkologin sagt, welche Symptome auftreten können und welche Untersuchungen möglicherweise durchgeführt werden. Ich verwendete Piktogramme, um die Kommunikation einfacher zu gestalten.

Waren auch praktische Übun­gen Teil des Programms?

Ja. Die Teilnehmerinnen bekamen die Möglichkeit, mit gynäkologischen Instrumenten in Berührung zu kommen. Diana konnte ein Spekulum und einen Abstrichtupfer in die Hand nehmen. Zu verstehen, wie diese Instrumente funktionieren, vermittelte ihr ein gewisses Mass an Kontrolle und verringerte ihre Angst. Alice wollte an diesem Teil der Studie nicht teilnehmen. Am letzten Treffen machten wir Rollenspiele. Zuerst beobachteten die Teilnehmerinnen mich in der Rolle einer gestressten Patientin bei der Gynäkologin, die von einer Pflegefachfrau von Handiconsult* gespielt wurde. Danach übernahmen die Teilnehmerinnen selbst die Rolle der Patientin. Bei beiden Frauen war ein spürbar selbstbewusstes Auftreten erkennbar, da sie ihre eigene Rolle mit ihrer eigenen Geschichte spielten.

 

Nur wenige Gynäkolog*innen sind für die besonderen Bedürf-nisse von Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung sensibilisiert…

Insgesamt ist das medizinische Personal hinsichtlich dieses Themas kaum geschult. Manche gynäkologischen Fachpersonen verstehen nicht, warum sich Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung untersuchen lassen sollten, wenn sie nicht sexuell aktiv sind. Diese Haltung zeugt von Unwissenheit und infantilisiert die Frauen, wodurch ihre Autonomie und ihre Ausdrucksfähigkeit eingeschränkt werden. Es ist wichtig, diesen Frauen die Möglichkeit zu geben, selbst über ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit zu bestimmen,  ihr Vertrauen zu stärken und sie zu ermutigen, ihre Bedürfnisse offen anzusprechen.•

 

* Handiconsult ist eine medizinische Beratungsstelle in Genf, die die Pflege von Erwachsenen und Jugendlichen mit geistiger Behinderung koordiniert.

Interview vom Französischen ins Deutsche übersetzt