Einkaufen im Supermarkt: Welche Zahlungssysteme und -methoden bevorzugen Menschen mit einer geistigen Behinderung und weshalb? Dieser Frage gingen Laetitia Lude und Marc Schmied in ihrer Bachelorarbeit nach.
Immer mehr Supermärkte bieten automatische Kassensystemen wie Self-Checkout oder Self-Scanning mit Handscannern an. Kritische Stimmen beklagen, dass damit menschliche Interaktion verlorengehe und der Kundenservice leide. Doch: Menschen mit einer geistigen Behinderung erleben beim selbständigen Scannen und Bezahlen der Einkäufe mehr Autonomie und erfahren Selbstwirksamkeit. Dies ist eine der Erkenntnisse aus der Bachelorarbeit von Laetitia Lude und Marc Schmied «Déficience intellectuelle et technologies: comment je paie mes courses?». In ihrer Arbeit untersuchten die beiden, wie Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung verschiedene Kassensysteme in Supermärkten benutzen.
Menschen mit einer geistigen Behinderung erleben beim selbständigen Scannen und Bezahlen der Einkäufe mehr Autonomie und erfahren Selbstwirksamkeit.
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Wohnschule von Pro infirmis (SFVA, Service de formation à la vie autonome) durchgeführt. Interviews mit Ausbildungsverantwortlichen sollten zunächst aufzeigen, welchen Herausforderungen Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung im untersuchten Bereich begegnen. Anschliessend wurden drei Teilnehmende der SFVA beim Erledigen und Bezahlen von Einkäufen mit den verschiedenen Kassensystemen «traditionelle Kasse», «Self Check-Out» und «Self-Scanning mit Handscanner» beobachtet. Die Einkäufe wurden in bar, mit Debitkarte oder via Twint-App bezahlt. Interviews mit den Studienteilnehmenden sollten aufzeigen, welche Erfahrungen sie dabei machten.
Individuelle Wahl
Gibt es eine klare Tendenz für ein bestimmts Zahlungssystem? «Es ist schwierig, aus den Ergebnissen der Untersuchung einen Favoriten abzuleiten», sagt Marc Schmied, einer der Studienautoren, der auch als Sonderpädagoge tätig ist. «Es zeigt sich vielmehr, dass die Wahl des einen oder anderen Systems je nach individueller Präferenz und Stimmung erfolgt.» Bei einer Person, die Unterstützung braucht, kann die soziale Interaktion an der bedienten Kasse beruhigend wirken und den Zahlungsvorgang erleichtern. Schmied: «Dies gilt umso mehr, wenn die Person das Personal an der Kasse bereits kennt.» Menschen, die sich mit sozialer Interaktion schwer tun wiederum, würden sich mit einem automatischen Kassensystem wohler fühlen, so der Studienautor. Die Bedienung kann jedoch komplex und eine vorgängige Schulung erforderlich sein. «Einige Studienteilnehmende waren dank ihren Angehörigen bereits vertraut mit automatischen Kassensystemen. Für andere war es Neuland. Wir mussten uns deshalb Zeit nehmen, um die Funktionsweise der verschiedenen Systeme mit den Probanden gemeinsam zu erkunden», erläutert Schmied weiter.
Auch der Faktor Stress spielt bei der Wahl des einen oder anderen Systems eine Rolle. «Die Einkäufe auf das Laufband der Kasse legen und sie dann, manchmal in Eile, wieder wegräumen zu müssen, kann die Menschen auch dazu bringen, Scanner zu benutzen», sagt Schmied.
«Die Einkäufe auf das Laufband der Kasse legen und sie dann, manchmal in Eile, wieder wegräumen zu müssen, kann die Menschen auch dazu bringen, Scanner zu benutzen»
Hand-Scanner, die während des Einkaufs benutzt werden, ermöglichen es, Produkte in Ruhe zu sortieren und geordnet einzupacken. Dafür entfällt die Möglichkeit, mit einem fremden Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Der Sonderpädagoge, der auch Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung beim Einkaufen begleitet – die Mehrheit von ihnen benutzt automatische Kassensysteme – wählt deshalb andere Strategien, um mit ihnen im Supermarkt soziale Interaktionen zu üben: «Ich ermutige die Jugendlichen zum Beispiel dazu, das Personal nach dem Bezahlen anzusprechen, um Punkte oder Sammelmarken zu erhalten.» Wichtig sei bei alledem, das Ziel des Einkaufsausflugs im Vorfeld zu definieren: «Wenn die Einhaltung des Budgets im Zentrum steht, kann es manchmal zu viel sein, gleichzeitig auch noch an der Sozialkompetenz zu arbeiten», so Schmied.
Selbst bezahlen: Selbstwirksamkeit fördern
Die Einkäufe selbst einscannen und dann ohne fremde Hilfe mit der Karte bezahlen: Das kann Selbstvertrauen schenken und Selbstwirksamkeit fördern. Das zeigte die Studie weiter. Auch kann es entlastend wirken, wenn an der Kasse das Rechnen und Überprüfen des Retourgelds entfällt. Für manche Menschen ist es jedoch schwieriger, ein Budget einzuhalten, wenn das Geld nicht physisch vorhanden ist und nicht berührt werden kann. Weiter machte die Studie deutlich, dass zur Vorbereitung des Besuchs im Supermarkt Unterstützung von Fachleuten wichtig ist:
«Dazu gibt es ein ganzes Lehrsystem mit unterschiedlichen Lektionen. Eine Aufgabe ist es beispielsweise, für eine Mahlzeit einzukaufen und dabei ein bestimmtes Budget einzuhalten», erklärt Schmied. Zusammen mit Laetitia Lude hat er einen interaktiven Einkaufsführer entwickelt, der sich vor allem an Institutionen richtet. Dieser erklärt Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung die verschiedenen Zahlungsmodalitäten und Kassensysteme. Er zeigt, wie die verschiedenen Systeme funktionieren und welche Schritte zu befolgen sind, um sie zu benutzen.
Die Bachelorarbeit «Déficience intellectuelle et technologies : comment je paie mes courses ?» von Laetitia Lude und Marc Schmied wurde an der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne eingereicht.