Technik mit allen Sinnen erleben

Autor

Regula Sandi

Veröffentlicht am

Im Technorama Winterthur sind naturwissenschaftliche Phänomene interaktiv erlebbar. Mit Erklärungen in Leichter Sprache und visuellen Hilfen werden die Ausstellungen in einem Pilotprojekt auch für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zugänglich gemacht. Das insieme-Magazin hat das Technorama mit einer Testperson besucht.

Neugierde und Experimentierfreude. Das braucht es, um die Installationen im Technorama mit allen Sinnen zu entdecken. Von beidem bringt der 17-jährige Mael Scheuchzer, der mit Trisomie 21 geboren wurde, eine Menge mit. An diesem Nachmittag erkundet er zusammen mit der Magazin-Redaktorin und Simone Russi, schulische Heilpädagogin und Inklusionsbeauftragte des Technorama, die Ausstellung «Strom und Magnete».

Neugierde und Experimentierfreude. Das braucht es, um die Installationen im Technorama mit allen Sinnen zu entdecken.

«Das kribbelt in den Fingern», sagt Mael und zieht abrupt seine Hand zurück. Eine Station in der Ausstellung veranschaulicht, wie sich Strom anfühlt. Auf laminierten Karten ist beschrieben, was zu tun ist: Zwei Finger werden auf zwei Kontakte gelegt, und die Spannung wird über einen Knopf erhöht, solange man es aushält.

 

Der 17-jährige Mael Scheuchzer kann mithilfe der App NaviLensGo die Anleitungen zu den Exponaten im Technorama in Leichter Sprache abrufen.  © Vera Markus

«Du musst die Finger so platzieren», sagt Mael zur Redaktorin und zeigt, wie es in der Anleitung steht, bevor er am Stromregler dreht. Durch Scannen eines aufgedruckten QR-Codes mit der App NaviLensGo kann zu jeder Ausstellungsstation eine Beschreibung in Leichter Sprache, illustriert mit Fotos und Metacom-Symbolen, abgerufen werden. Metacom-Symbole ermöglichen es Menschen mit sprachlicher Einschränkung, zu kommunizieren.

Das Ziel ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Menschen die Faszination der Naturwissenschaften erfahren können, unabhängig von ihren körperlichen oder kognitiven Voraussetzungen.

Weiter wurde ein Buch mit Metacom-Symbolen zu allen Ausstellungen als Kommunikationshilfe erarbeitet. Das Buch kann am Infoschalter ausgeliehen werden. Für sehbehinderte Personen gibt es einen Audioguide mit der App NaviLens und für ausgewählte Exponate zudem Texte in Gebärdensprache. Auch erste Workshops, die das Technorama zu verschiedenen Themen anbietet, wurden für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung angepasst. «Das Ziel ist es», so Russi, «ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Menschen die Faszination der Naturwissenschaften erfahren können, unabhängig von ihren körperlichen oder kognitiven Voraussetzungen.»

 

Im Technorama kann der 17-Jährige alles mit den Händen erleben und begreifen. © Vera Markus

Mael ist bereits beim nächsten Exponat angelangt. Den «Leucht-Skulpturen». Auf einem Tisch liegen Stäbe und Kugeln, die miteinander verbunden werden müssen. Werden sie korrekt verkettet, schliesst sich der Stromkreis, und die Stäbe beginnen in blauem Licht zu leuchten. Auch hier ist Mael mit Feuereifer dabei und hat die verschiedenen Teile rasch korrekt zusammengefügt. Im Technorama kann der 17-Jährige alles mit den Händen erleben und begreifen – und teilweise mit dem ganzen Körper, wie zum Beispiel auf der Hochspannungsrutsche, die er kurz darauf erklimmt und auf der er begeistert heruntersaust.

Sensibilisierung der Mitarbeitenden wichtig

Was braucht es, um ein Museum inklusiv zu gestalten? Nebst baulichen Anpassungen sowie audiovisuellen und sprachlichen Hilfsmitteln sei vor allem die Sensibilisierung der Mitarbeitenden wichtig, sagt Russi. Das Technorama führt deshalb Schulungen durch, um Berührungsängste der Mitarbeitenden mit Menschen mit Behinderungen abzubauen und aufzuzeigen, welchen Hindernissen diese im Alltag begegnen. «Barrierefreiheit muss selbstverständlich und Teil der Betriebskultur sein», so Russi. «Dazu braucht es das Bewusstsein, wo die Handlungsfelder sind. Dies herauszufinden, ist nur möglich, wenn betroffene Personen von Anfang an in die Projekte integriert sind.» Im Moment laufe mit der Organisation «Mensch-zuerst» gerade ein Projekt an, bei dem weitere Massnahmen ausgearbeitet werden. «Dort sind Menschen mit Lernschwierigkeiten involviert», sagt Russi.

Mael klettert eine Leiter hoch und steckt seinen Kopf durch ein Loch in der Decke. Im Ausstellungsbereich «Kopfwelten» geht es darum, zu erleben, wie sich unsere Wahrnehmung durch bestimmte Reize verändert. Durch das Loch in der Decke taucht Mael mit seinem Kopf in einen weiss gefärbten Hohlraum ein, der sanft beleuchtet, mal grün, mal violett, mal gelb erscheint. Die lebhafte Umgebung in den Ausstellungsräumen, die vielen Menschen, die Geräusche – alles verschwindet komplett aus der Wahrnehmung, sobald sich der Kopf im Hohlraum befindet. «Das ist sehr entspannend», findet Mael, dem dieses Exponat von allen am besten gefällt. Erlebnis kennt keine Barrieren. Gemeinsame Erlebnisse verbinden. Das wird an diesem Nachmittag deutlich. «Es geht darum, Menschen mit Behinderungen in das Leben und in den Alltag ganz selbstverständlich miteinzubeziehen. Sie wollen dazugehören wie alle anderen Menschen auch – und auch so behandelt werden», sagt Russi.

Erste Massnahmen umgesetzt, weitere folgen

Mit dem Inklusionskomitee des Technorama, bestehend aus Mitarbeitenden verschiedener Abteilungen, hat Simone Russi einen Massnahmenplan für die nächsten vier Jahre erstellt, um weitere Bereiche des Museums inklusiv zu gestalten. «Die Massnahmen werden zusammen mit einer Begleitgruppe von Menschen mit Behinderungen umgesetzt und laufend überprüft», so Russi. «Zurzeit sind wir die Texte in Leichter Sprache mit der Zielgruppe am Testen. Wir probieren verschiedene Formulierungen und Text-Bild-Kombinationen aus.»