«Mehrwerk»: neue Wege in der Inklusion

Autor

Tanja Aebli

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Wie gelingt es, Menschen mit einer Beeinträchtigung eine Alternative zu einem geschützten Arbeitsplatz zu bieten? Das Werkheim Uster erprobt mit dem Projekt «Mehrwerk» ein neues Modell.

Salomé Wüthrich packt einen Stapel Karton, hievt ihn auf den Tisch und zückt ein funkelndes Japanmesser, um die einzelnen Elemente fachgerecht zu zerkleinern. Die 26-jährige Frau lebt mit dem Down-Syndrom und arbeitet im «Mehrwerk» in einem weitläufigen, dreistöckigen Komplex mitten in einem Industriebezirk in Uster (ZH). Das Pilotprojekt wurde im Sommer 2020 gestartet. «Wir gehen jetzt zu den Mietern und sammeln dort Karton, Papier, PET, Plastik, Styropor, Blech und Aluminium ein», erklärt ihr 35-jähriger Kollege Simon Forrer.

Eine Frau schneidet einen Karton

Salome Wüthrich zerlegt sperrige Kartonschachteln mit gezielten Schnitten. © Vera Markus

Anklopfen, Hallo sagen, einsammeln, was sich rezyklieren lässt – auf dem Rundgang am Freitagnachmittag ist Anpacken angesagt. «Mir gefällt die Arbeit hier im ‹Mehrwerk› sehr, weil sie so abwechslungsreich ist», sagt Salomé Wüthrich, die den Grossteil der Woche an einem geschützten Arbeitsplatz des Werkheims Uster zubringt. Andri Caflisch, Fachmitarbeiter beim Werkheim, erklärt: «Unsere Leute sollen neue Erfahrungen sammeln, Kontakte mit Kunden knüpfen, sich etwas zutrauen und sich so Schritt für Schritt weiterenwickeln können.»

Neue Angebote schaffen

Das einjährige Pilotprojekt in Form der Recyclingsammelstelle soll schon bald zu einer etablierten Dienstleistung werden. Alain Peyer, Mieter im «Mehrwerk» und Geschäftsinhaber von Elektro Brühlmann, weiss das neue Angebot zu schätzen: «Die Zeit, die wir früher für die Entsorgung aufbringen mussten, können wir nun in unser eigentliches Kerngeschäft investieren.»

Unsere Leute sollen neue Erfahrungen sammeln, Kontakte mit Kunden knüpfen, sich etwas zutrauen und sich so Schritt für Schritt weiterenwickeln können.»

Auf einer Tafel stehen die Öffnungszeiten der Sammelstelle.
Salome Wüthrich und Simon Forrer arbeiten mit ihrem Betreuer Andri Caflisch. © Vera Markus

Über das Projekt «Mehrwerk»

Das Werkheim Uster hat die dreistöckige Liegenschaft in einem Industriequartier gekauft, um in einem Teil die eigenen Werkstätten unterzubringen und den anderen Teil an kleinere und mittlere Unternehmen zu vermieten. Mit dem vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) unterstützten Projekt «Mehrwerk» soll ein innovatives Angebot geschaffen werden, das mehr Zusammenarbeit, mehr Möglichkeiten und mehr Inklusion schafft – auch für Mitarbeitende mit höherem Unterstützungsbedarf. Der Einzug in das neue Gebäude ist für Herbst 2021 geplant, dann wird das Recyclingpilotprojekt in den regulären Betrieb überführt.

Talente statt Defizite suchen

Die Idee dahinter ist so einfach wie bestechend: «Unsere Leute erbringen für die im Gebäude eingemieteten und die benachbarten Firmen Dienstleistungen aller Art», erklärt Daniel Dietrich. Das können zu Beginn einfache Arbeiten wie Blumen giessen oder Kübel leeren sein. Die Recyclingsammelstelle soll dabei den Auftakt zu einer weiteren, intensiveren Zusammenarbeit bilden, etwa im Bereich Empfang oder später auch in der Gastronomie.

Ein Mann zieht auf einem Handwagen eine Last durch die Werkhalle.

Das Team führt Dienstleistungen für das lokale Gewerbe aus. Foto: © Vera Markus

Das Werkheim Uster will mit dem Projekt «Mehrwerk» auch einen eigentlichen Paradigmenwechsel einleiten: «Wir sind überzeugt, dass in unseren Mitarbeitenden viele Talente schlummern. Fortan wollen wir an diesem Punkt ansetzen und uns darauf konzentrieren, eine Beschäftigung zu finden, die zur Person und ihren Talenten passt», betont Daniel Dietrich.

Salomé Wüthrich freut sich auf die offizielle Eröffnung des «Mehrwerks», und obwohl ein erster Traum bereits in Erfüllung gegangen ist, träumt sie schon den nächsten: Sie möchte Rezeptionistin am Empfang des «Mehrwerks» werden.