Vier Stunden im Leben einer gut organisierten Wohngemeinschaft

Autor

Lise Tran

Veröffentlicht am

Das Ökoquartier Vergers ist das neuralgische Zentrum einer Wohngemeinschaft der Fondation Ensemble. Die Gruppe teilt miteinander Wohnen, Arbeiten und Freizeit.

Es ist die Zeit der Siesta für die drei Personen aus der Fondation Ensemble (FE), der Mieterin dieser geräumigen modernen Wohnung. Nach einem halben Arbeitstag treffen sich Maya El Hakim, Sophie Theubet und Markus Wittekind für die Mittagspause in ihrer Wohnung in Vergers. Laetitia Favre, Sonderpädagogin im Atelier von Vergers und ihr Kollege Jérémy Testas, sozialpädagogischer Assistent, begleiten und unterstützen sieben Personen der FE bei ihrer Arbeit in den Geschäften und der Kita von Vergers. Das geschäftige Treiben der drei Bewohner*innen nehmen wir aus der Wohnung wahr, die neben ihrer liegt; die beiden Wohnungen sind miteinander verbunden und werden seit 2017 von sechs Personen aus der FE bewohnt.

Markus Wittekind und Maya El Hakim auf dem Balkon in ihrer Wohnung © Antoine Tardy

Lokale Arbeitsplätze schaffen

Die knapp 50-jährige Sophie Theubet ist eine der Bewohner*innen von Verges. Von ihren vier Arbeitstagen pro Woche verbringt sie zwei Tage bei einem orangefarbenen Grossverteiler und die beiden anderen in einem Kurzpraktikum in der Küche der Kita von Vergers. Plötzlich stürzt die knapp dreissigjährige Maya El Hakim in den Saal und fragt: «Wie sieht meine Frisur aus? Jérémy hat mir die Haare gemacht!» Die junge Frau macht sich bereit, um 14 Uhr ihre Arbeit im Café «Le Grain du coin» ganz in der Nähe der Wohnung wieder aufzunehmen.

«Wir beginnen jeweils mit einer Praktikumsvereinbarung. Wenn es gut läuft, definieren wir die Arbeitstage entsprechend der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Personen»

Markus Wittekind, 37, arbeitet seit Juli hier, zuerst mit einem Praktikumsvertrag, dann mit einem festen Vertrag für zwei Tage die Woche. «Wir beginnen jeweils mit einer Praktikumsvereinbarung. Wenn es gut läuft, definieren wir die Arbeitstage entsprechend der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Personen», erklärt Laetitia Favre. Alle Klient*innen der FE beziehen eine IV-Rente. Sie erhalten keinen Lohn von ihren Arbeitgebern, sondern eine Entschädigung durch die Fondation Ensemble. Im Februar 2021 arbeitete nur eine Person in den nahegelegenen Geschäften, inzwischen sind es sieben, die in fünf verschiedenen Betrieben tätig sind. «Für die Arbeitgeber sind sie Arbeitskräfte. Wenn eine Person weniger selbständig ist, begleiten wir sie bei der Arbeit und unterstützen sie.»

Eintauchen in eine Welt ausserhalb der Institution

Heute ist Markus Wittekind in der Küche beschäftigt. Unter den aufmerksamen Blicken von Jérémy Testas, dem sozialpädagogischen Assistenten, schält und schneidet er Kartoffeln in kleine Würfel für das Mittagessen des nächsten Tages. Neben seiner Arbeit im Restaurant geht er zwei Mal die Woche ins Seifen-Recycling-Atelier der FE, wo es eine stärkere Begleitung gibt. «Es ist wichtig, für die Personen eine Arbeit zu finden, die ihnen am besten entspricht. Aber ebenso wichtig ist es, dass sie in eine Welt ausserhalb der Institution eintauchen können, wo sie zusammen mit Menschen ohne Behinderung sind», unterstreicht Laetitia Favre.

«Manchmal langweile ich mich, wenn es keine Kunden hat. Als ich im Coop arbeitete, hatte ich Kollegen. Ideal wären drei Tage im Café und zwei Tage im Coop.»

Jetzt geht es ins «Grain du Coin», wo Maya El Hakim arbeitet: Gäste empfangen, Bestellungen entgegennehmen, Service und sogar das Bedienen der Kasse gehört zu ihren Aufgaben. Die junge Frau hat ihr Praktikum in diesem Betrieb, der auf äthiopischen Kaffee spezialisiert ist, im Juli angefangen, wenige Monate nach der Eröffnung. Sie arbeitet relativ selbständig mit wenig Begleitung und hat die Zahl ihrer Arbeitstage langsam gesteigert: von drei im September auf fünf am Anfang des Jahres. «Als ich Teamchef war, musste ich einfach Anweisungen erteilen. Mit Maya funktioniert das nicht, ich muss mich an ihren Rhythmus anpassen», erklärt Vivien Dampure, der Saalverantwortliche. Wenn Maya auch grosse Fortschritte gemacht hat, seit sie jeden Tag arbeitet, erwähnt sie auch eine gewisse Ermüdung: «Manchmal langweile ich mich, wenn es keine Kunden hat. Als ich im Coop arbeitete, hatte ich Kollegen. Ideal wären drei Tage im Café und zwei Tage im Coop.»

Ende des Tages: Debriefing, Freizeit und Hausarbeit

Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Doch warten in der Wohnung weitere Aufgaben und Beschäftigungen auf die Bewohner*innen, die sie zusammen mit Sonia Guerra erledigen. Sie ist heute als Begleitperson für die letzte Schicht von 16 Uhr bis 21.30 Uhr zuständig. Anschliessend kommt die Nachtwache. Fabiana Bohler, die eine der beiden Wohnungen des vierten Stocks bewohnt, kommt gerade nach Hause. «Nach der Arbeit trinken wir ein Glas zusammen und schauen in die Agenda.» Maya, die gut lesen und schreiben kann, notiert ihre erledigten Aufgaben in ihr Heft. Fabiana und Markus machen ihre Planung ihrer Aufgaben mithilfe von Piktogrammen.
Vom Wochenende erzählen, das oft in der Familie verbracht wird, Ausflüge machen, Apéro in einem Café des Quartiers, spazieren gehen oder ins Schwimmbad oder auf die Eisbahn. Aber neben den Freizeitaktivitäten gibt es immer den Alltag mit seinen zahlreichen Aufgaben zu bewältigen. Diesen Abend wird Fabiana zusammen mit einer Begleitperson Pasta mit Pesto kochen, während Markus und Maya das Tischdecken übernehmen und anschliessend das Geschirr abwaschen. Gegen 21.30 Uhr gehen alle schlafen. Um morgens um 7 Uhr wieder aufzustehen, wenn das Betreuungsteam komm. Bereit einen neuen Tag zu beginnen.