«Eltern, die das Gleiche erleben, wollen immer helfen»

Autor

Claire-Andrée Nobs

Veröffentlicht am

Wir warten schon eine Weile vor seinem Zuhause, da kommt José völlig ausser Atem angelaufen. «Ich wollte Sie eigentlich in Empfang nehmen, weil meine Frau immer noch mit unserer Tochter bei der Ergotherapeutin ist. Und dann ist das Ladegerät von Joanas Sauerstoffmaschine ausgefallen und ich musste ein neues bestellen», entschuldigt er sich. Als wir den Aufzug betreten, sagt er schmunzelnd: «Für Ihren Artikel können Sie sich schon mal merken, dass Eltern mit einem Kleinkind mit Behinderung ihre Zeit damit verbringen, überall herumzulaufen!»

Für Ihren Artikel können Sie sich schon mal merken, dass Eltern mit einem Kleinkind mit Behinderung ihre Zeit damit verbringen, überall herumzulaufen!

Wir betrachten die Familienfotos im Eingang und im Wohnzimmer, wo wir einige Minuten später Amanda mit ihrer Tochter treffen, die sich ihrerseits entschuldigt. Die zweijährige Joana lebt mit dem Down-Syndrom und zeigt sich begeistert von der Kamera. Während unseres Gesprächs läuft sie auf dem flauschigen Teppich umher, zwei kleine Schläuche verbinden sie mit ihrem Sauerstoffgerät. Aus ihrer Spieldose erklingen fröhliche Lieder.

 

Ein schwieriges Jahr

«Wir hatten ein sehr kompliziertes Jahr mit vielen Veränderungen», erklärt José. Bei Joana wurde eine potenziell tödliche Autoimmunerkrankung diagnostiziert. Sie verbrachte vier Monate im Krankenhaus, einige davon auf der Intensivstation. «Wir mussten uns neu organisieren; José hat viel Zeit mit unserer älteren Tochter Helena, verbracht, und ich war bei Joana im Krankenhaus, damit sie nie allein in ihrem Zimmer sein musste.»

Wir mussten uns neu organisieren; José hat viel Zeit mit unserer älteren Tochter Helena, verbracht, und ich war bei Joana im Krankenhaus, damit sie nie allein in ihrem Zimmer sein musste.

Selbstverständlich wollen Eltern so viel wie möglich bei ihrem schwer kranken Kind sein; Amandas Arbeitgeber hat das aber offensichtlich nicht so gesehen. Seit 2021 hilft die Erwerbsausfallentschädigung Eltern von kranken Kindern bei einem Spitalaufenthalt.

Trotz dieser Möglichkeit hat der Arbeitgeber von Joanas Mutter dem Antrag auf Betreuungsurlaub nicht stattgegeben, sondern Amanda gekündigt, die nun seit mehreren Monaten arbeitslos ist. «Sie haben gesehen, dass unsere Tochter oft krank ist, und wollten Amanda loswerden, weil sie sich gesagt haben: Oh, sie muss oft ins Krankenhaus», so José.

Sie haben gesehen, dass unsere Tochter oft krank ist, und wollten Amanda loswerden, weil sie sich gesagt haben: Oh, sie muss oft ins Krankenhaus»

Dank der Unterstützung durch eine Sozialarbeiterin ficht Amanda derzeit die missbräuchliche Kündigung an. José seinerseits hatte das Glück, einen Job als Architekt am CHUV zu finden, während seine Tochter dort hospitalisiert war: «So konnte ich ganz in der Nähe von Joana sein und sie während meiner Mittagspause besuchen», berichtet er erleichtert. «Aber wir haben uns sehr darauf gefreut, wieder nach Hause zu gehen.»

 

Sorgfältige Vorbereitung vor der Geburt

Joanas Krankheit hat den Alltag auf den Kopf gestellt, auf den sich ihre Eltern gut vorbereitet hatten. «Wir wussten schon früh, dass Joana mit Trisomie 21 auf die Welt kommen würde. Aber für mich verändert eine genetische Abweichung meine Liebe zu ihr nicht», erklärt Amanda. Um sich auf diese völlig neue Welt vorzubereiten, haben sich die werdenden Eltern spontan an andere betroffene Familien gewandt.

José

«Wir spürten eine echte Offenheit. Natürlich gibt es Organisationen, aber Eltern, die das Gleiche erleben, finden sich natürlich zusammen. Sie wollen immer helfen und ihre Erfahrungen teilen. Nach und nach haben wir unser Netzwerk aufgebaut»,

José, Vater von Joana und Helena

«Da wir nicht wussten, was uns erwartet, haben wir jedes Mal, wenn wir eine Familie mit einem Angehörigen mit Down-Syndrom gesehen haben, diese angesprochen und ihr unsere Situation erklärt. Dann haben wir sie gefragt, ob Sie uns einige Fragen beantworten würden», erinnert sich Amanda.

«Wir spürten eine echte Offenheit. Natürlich gibt es Organisationen, aber Eltern, die das Gleiche erleben, finden sich natürlich zusammen. Sie wollen immer helfen und ihre Erfahrungen teilen. Nach und nach haben wir unser Netzwerk aufgebaut», fügt José hinzu. Amanda entdeckt auch das Buch L’extraordinaire Marcel (Der aussergewöhnliche Marcel, nur auf Französisch) und lässt sich davon inspirieren, bereits während der Schwangerschaft verschiedene Dinge wie Logopädie, Physiotherapie usw. zu organisieren.

Eine Gelegenheit, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten

Nach der Geburt verschwinden ihre Ängste allmählich. Den Eltern wird bewusst, dass Joana auch lernt, aber in ihrem eigenen Tempo. Im Alltag ist nach wie vor viel los, er lässt sich aber gut bewältigen. «Ausserdem raubt mir Joana nicht unbedingt viel mehr Energie als ihre Schwester», sagt Amanda lachend. «Helena hat einen starken Charakter und es braucht auch bei ihr Geduld, um vieles zu erklären.»

Unser Barometer ist Joanas Gesundheitszustand. Solange es ihr gut geht, versuchen wir wirklich, so viel wie möglich zu erleben, sogar jetzt mit dem Sauerstoffgerät.

Trotz der schwierigen Zeit, die ihre Familie in den letzten Monaten durchmachen musste, versucht sie, sich nicht einzuschränken: «Unser Barometer ist Joanas Gesundheitszustand. Solange es ihr gut geht, versuchen wir wirklich, so viel wie möglich zu erleben, sogar jetzt mit dem Sauerstoffgerät.»

 

Ein Rat für andere werdende Eltern?

«Habt keine Angst und taucht in diese neue Welt ein. Als ich schwanger war, hatte ich natürlich Angst, aber jetzt gibt es so viel Liebe und ich bin dankbar für alles, was Joana mir jeden Tag beibringt.» José erinnert sich seinerseits daran, wie wichtig es ist, sich nicht zu verschliessen: «Öffnen Sie Ihr Herz, um Menschen zu treffen und sich zu informieren. Es gibt viele Menschen, die helfen wollen und die Ihnen helfen werden.»

 

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