Die amerikanische Geigerin und Sängerin Gaelynn Lea, die 2018 zusammen mit dem inklusiven Orchester Tabula Musica in Bern aufgetreten war, erzählte am Symposium «Zukunftsmusik», wie sie ihre Musik als Plattform nutzt, um sich für Menschen mit einer Behinderung einzusetzen. Sie zeigte, wie sie ihre Geige spielt und erklärt: «Was wie eine Beschränkung aussieht, kann tatsächlich eine Bereicherung sein.»
«Was wie eine Beschränkung aussieht, kann tatsächlich eine Bereicherung sein.»
Gaelynn Lea, Geigerin und Sängerin
Wegen ihrer verkürzten Gliedmassen hält sie die Geige wie ein Cello zwischen den Beinen und streicht mit dem extra für sie angefertigten Bogen über die Saiten. «Think outside the box», fordert sie das Publikum auf, in dem sich zahlreiche Musikerinnen und Musiklehrer finden. In dem von Tabula Musica, dem Zentrum für barrierefreies Musizieren, und der Hochschule für Künste Bern (HKB) organisierten Symposium fanden auch zahlreiche Workshops und Vorträge mit internationalen Gästen statt. Ein Podiumsgespräch ging der Frage nach, wie Musik zum Ort der gelebten Inklusion werden kann.
Muss man hören können, um zu musizieren?
Diese Frage stellte sich für die schottische Solo-Perkussionistin und zweifache Grammy-Preisträgerin Evelyn Glennie in ihrer Jugend, als sie Pauke, Trommeln und Xylophon spielte und aufgrund einer Nervenkrankheit ihr Hörvermögen weitgehend einbüsste. Sie lernte, die Musik durch die Vibrationen im Körper wahrzunehmen.
Evelyne Glennie lernte, die Musik durch die Vibrationen im Körper wahrzunehmen.
Am Symposium erzählte sie, dass ein Musiklehrer sie als Bauerntochter einmal aufgefordert hat, musikalisch das Gefühl (Feel) eines Traktors zu machen. «Er sagte nicht das Geräusch eines Traktors, sondern das Gefühl, und genau darum geht es mir in meiner Musik.»
«Er sagte nicht das Geräusch eines Traktors, sondern das Gefühl, und genau darum geht es mir in meiner Musik.»
Evelyn Glennie, Solo-Perkussionistin
Zum Abschluss der dreitägigen Veranstaltungsreihe für barrierefreie Musik «Zukunftsmusik» im Oktober gab das Tabula Musica Orchester unter der Leitung von Denis Huna ein beeindruckendes Konzert, das vor Spielfreude sprühte. Neben Flöte, Geige, Gitarre und einem grossen Flügel kamen auch musiktechnologische Instrumente wie Soundbeam und Skoog zum Einsatz.
Als Special Guest im Konzertsaal der Hochschule der Künste Bern (HKB) spielte Jonas Straumann das Hang, ein Perkussionsinstrument aus Stahlblech, dem er mit seinen Händen zauberhafte Klangstimmungen entlockte.
Alle Musikerinnen und Musiker mit und ohne Beeinträchtigung schafften mit ihrem Zusammenspiel ein wuchtiges Klangkunstwerk, das noch lange nachhallte.
Ob seine Hörbeeinträchtigung einen Einfluss auf die Musik hatte? Er hat auf jeden Fall hinreissend gespielt. Alle Musikerinnen und Musiker mit und ohne Beeinträchtigung schafften mit ihrem Zusammenspiel ein wuchtiges Klangkunstwerk, das noch lange nachhallte.
Das Tabula Musica Orchester
Das Tabula Musica Orchester wurde 2017 vom Musiker Denis Huna, der Heilpädagogin Nadine Schneider und der Journalistin Linda von Burg ins Leben gerufen und hatte bereits 2018 einen grossen Auftritt im Zentrum Paul Klee in Bern. Das Ziel von Tabula Musica ist das barrierefreie Musizieren und die Freude an der Musik. Barrieren abbauen heisst hier etwa, dem Gitarristen mit Autismus Kopfhörer zur Verfügung zu stellen, mit denen er sich vor einer akustischen Reizüberflutung schützen kann. Oder das Notieren der Tonfolgen mit Farben und Zahlen am Soundbeam, einem Instrument der Accessible Music Technology. Voraussetzung für die Teilnahme am Orchester ist musikalisches Talent. Eine Beeinträchtigung – egal welche – stellt dabei keine Behinderung dar.