Rafroball – mehr Teamgeist geht nicht

Autor

insieme Redaktorin

Veröffentlicht am

Erfunden wurde diese Sportart, die viel Spass und Spannung bietet, vor 20 Jahren in der Schweiz. Rafroball bringt Spieler und Spielerinnen mit und ohne Behinderung zusammen und lässt sich an die unterschiedlichen Spielstärken anpassen. Reportage über einen nationalen Wettkampf in Marly (FR).

Eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz gleitet mit ihrem Rollstuhl aufs Spielfeld. Auf ihrem Schoss sitzt eine schwarz-weiss gefleckte Plüschkuh, das Maskottchen ihres Teams. Die Spielsituation ist kritisch für die Freiburger Rafro Vaches. Nachdem sie 2 : 0 in Führung gegangen waren, kassierten sie noch in der ersten Halbzeit ein Tor, danach bereits ein zweites. Sie müssen reagieren. Doch mit einem spektakulären Tor eines kleinen Jungen mit Brille wenden sie das Blatt wieder. Spieler und Publikum brechen in Freude aus. Der junge Sportler läuft eine Ehrenrunde um das Spielfeld.

Die Teammitglieder von Rafro Vaches stehen im Kreis und strecken ihre Hände in Richtung Mitte, um ihr Team zum Weinen zu bringen.

In einem Rafroball-Match hat jeder und jede eine Aufgabe, die auf ihre oder seine jeweiligen Fähigkeiten abgestimmt ist. Foto: Cyril Zingaro

Diese Szene spielt sich am ersten Tag der Schweizer Rafroball- Meisterschaft ab. Ob mit oder ohne Handicap, alle können bei diesem Sport mitmachen. Erfunden wurde er vor 20 Jahren von ein paar Freunden aus dem Wallis. Dabei kombinierten sie Elemente aus Handball, Basketball und Fussball. Der Name Rafroball setzt sich aus den ersten Silben ihrer Namen zusammen: Thierry Rapillaz, Lionel und Jonas Frossard und Prince Ballestraz. Das Reglement erlaubt eine weitgehende Anpassung an die jeweiligen Kompetenzen der Beteiligten. In einem Rafroball-Match hat jeder und jede eine Aufgabe, die auf ihre oder seine jeweiligen Fähigkeiten abgestimmt ist. Ein Spieler mit Behinderung kann im Duo mit einem «Motor» spielen, einem Partner, der ihm hilft, seinen Platz zu wechseln oder den Ball zu ergattern. Eine Spielerin ohne Behinderung kann auch allein teilnehmen, muss sich allerdings in einen Rollstuhl setzen. Die Dimension der Tore wird der Grösse und den Fähigkeiten des Torhüters angepasst. In den Teams spielen Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene zusammen. Rafroball ist sportlich sehr intensiv, aber auch sehr fair.

Freude, Spannung und Ausdauer

Das Engagement und die Freude am Spiel sind in der ganzen Halle spürbar. Auch bei der 14-jährigen Freiburgerin Amélie Broch, die in ihrem Rollstuhl vor Freude strahlt. Ob ihre Pässe treffen oder nicht, auf ihrem Gesicht liegt immer ein Lächeln über beide Ohren. Auch der gegnerische Torhüter zeigt eine bemerkenswerte Ausdruckskraft. Er hat Probleme mit dem Sprechen, doch sein Blick und seine Gesten sagen alles: seine siegreich erhobene Faust nach einem gekonterten Pass, sein resigniertes Schulterzucken zum Publikum hin, nachdem er ein Tor kassiert hat. Es gibt Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint, mit einer ganz eigenen Spannung, etwa als ein Spieler mit einer mehrfachen Behinderung einen Schuss vorbereitet und alle den Atem anhalten in der Erwartung, ob er ihm gelingen wird. Es gibt tausend innere Siege in einem einzigen Match. Jeder und jede hat eine Aufgabe, etwa die Arme zu heben, um den Gegner beim Zielen zu stören, oder sich im Feld strategisch gut aufzustellen. Einer Person im Rollstuhl gelingt es kaum einmal, den Ball zu werfen. Dafür lässt sie ihn auf dem Boden in die gewünschte Richtung gleiten und revanchiert sich mit Kaltblütigkeit und einem guten Überblick über das Spiel.

Amélie Broch se prépare à lancer la balle, assise dans un fauteuil roulant.

«Ich verehre meine Mannschaft, sie ist meine zweite Familie. Wir trainieren jeden Freitag von 17.30 bis 19 Uhr.»

Amélie Broch, Rafroballspielerin

Die Grünen gehen zum Angriff über. Die Weissen von Rafro Vaches bewegen ihre Hände defensiv in der Luft. Ein Spieler im Rollstuhl bereitet sich vor, den Ball einem ebenfalls im Rollstuhl sitzenden Mitspieler zu übergeben. Sie sind umringt von gegnerischen Spielern. Ihre beiden «Motore» nähern sich und bilden eine Sperre, um ihren Partnern den Pass zu ermöglichen. Aber der Ball fällt zu Boden. Der «Motor» des Empfängers bückt sich, um den Ball aufzuheben. Es ist zu befürchten, dass ihm jemand über die Hand oder den Fuss rollt. Aber er richtet sich bereits wieder auf und legt den Ball in die Hände seines Partners. Während des ganzen Spiels sieht man die «Motoren» Bälle vom Boden aufheben, immer wieder, pausenlos. Es kommt aber auch vor, dass der Partner mit Behinderung den Ball problemlos selbst werfen kann – dann begnügt sich sein «Motor» damit, ihm dabei zu helfen, die Position zu wechseln. Die Geschwindigkeit und Präzision, mit der manche Sportler die Rollstühle ihrer Partner einsetzen, ist bewundernswert.

Eine Rafroballspielerin im Rollstuhl bereitet sich darauf vor, den Ball zu werfen
Die 14-jährige Freiburgerin Amélie Broch hat endlich einen Sport gefunden, der ihr gefällt. Foto: Cyril Zingaro.

«Ich liebe den Wettkampf»

Die Gegner von Rafro Vaches verlangen kurz vor Ende des Matchs einen Spielunterbruch. Der Coach der Freiburger feuert sein Team, das 4 : 3 führt, an: «Die letzte Reihe rechts. Beruhigt das Spiel. Schiesst nur, wenn die Voraussetzungen perfekt sind. Wir dürfen den Ball nicht verlieren. Keine langen Pässe.» Man hört auf seine Ratschläge. Als der Schlusspfiff ertönt, haben die Weissen gewonnen. Nach dem Debriefing ist es Zeit, vor dem nächsten Match etwas essen zu gehen. Nach ihren Eindrücken befragt, lässt sich die strahlende Amélie Broch nicht zweimal bitten: «Morgen ist es genau ein Jahr her, als ich mit Rafroball angefangen habe. Ich habe lange nach einem Sport gesucht, der mir gefällt. Jetzt habe ich ihn gefunden, und seither erzähle ich allen davon.» Sie lacht: «Ich verehre meine Mannschaft, sie ist meine zweite Familie. Wir trainieren jeden Freitag von 17.30 bis 19 Uhr.» Die junge Frau spielt manchmal im Angriff, manchmal als «Raumhalterin», deren Aufgabe es ist, Gänge für die Schützen frei zu halten. «Ich liebe den Wettkampf!», schwärmt sie. Ihr Kollege Aliosha, 25, ist Torhüter. Er erklärt, dass er eine kaum sichtbare Behinderung habe, Zerebralparese. Seine Muskeln geben manchmal nach. «Während des Matchs, haben Sie es gesehen: Ich musste manchmal die Arme senken.» Er muss seine Kräfte dosieren. «Seit meiner Kindheit sagen mir alle, ich solle Sport machen. Aber beim Fussball war ich nach zehn Minuten total erschöpft. Eine meiner ehemaligen Physiotherapeutinnen hat mir von Rafroball erzählt, und so probierte ich es aus. Nach fünf Trainings entschied ich dabeizubleiben. Das ist jetzt zehn Jahre her.» Er lächelt: «Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange dabeibleiben würde. Der Sport gibt mir Selbstvertrauen.»

Ein Rafroballspieler mit dem Ball in der Hand bewegt sich zwischen zwei gegnerischen Spielern, die versuchen, ihn zu blockieren. Einer der gegnerischen Spieler steht und der andere sitzt im Rollstuhl
In der Kategorie Sport sind Kraft und Präzision gefragt. Foto: Cyril Zingaro.

Jetzt auch in der Deutschschweiz

Von den 13 Teams der Meisterschaft spielen 7 in der Kategorie Fun wie die Rafro Vaches. 6 weitere Teams spielen auf der anderen Seite der Halle in der Kategorie Sport. Dort spielen vor allem Erwachsene. Auch bei ihnen ist das Fair Play wichtig, aber die Atmosphäre ist kompetitiver und das Spielniveau höher. Die Spielerinnen und Spieler sind hoch konzentriert, stellen sich strategisch auf, und ihre Pässe sind kraftvoll und präzis. Die Solothurner, in Rot und Weiss, spielen erst seit Kurzem in der Meisterschaft und sind rasch in die höhere Kategorie aufgestiegen. Solothurn und Bern sind bisher die einzigen Mannschaften aus der Deutschschweiz. Das Berner Team wurde vor einigen Jahren von ehemaligen Spielern der Rafro Vaches gegründet. Es ist ein zweisprachiges Team, das eine Brückenfunktion ausübt. Die Fans von Rafroball hoffen, dass sich dieser Sport auch jenseits des Röstigrabens durchsetzt.

 

Dieser Artikel stammt aus dem im März 2020 veröffentlichten insieme Magazin.