Wenn Eltern die Beistandschaft übernehmen

Autor

Susanne Schanda

Veröffentlicht am

Wird eine Person mit einer kognitiven Beeinträchtigung volljährig, stellt sich die Frage, welche Unterstützung sie braucht, um ihr Leben zu organisieren und den Alltag zu meistern. In vielen Fällen übernehmen Angehörige die Aufgabe der Beistandschaft.

In ihrer Wohnung gibt Sarah den Ton an. Die 25-Jährige hat das Autismus-Spektrum-Syndrom (ASS) und lebt zusammen mit ihrem Freund in einer Wohnung, die zur Stiftung andante Eschenz gehört. Alle zwei Wochen besucht Sarah ihre Eltern. «Unsere Tochter ist ziemlich selbstständig, mit 17 Jahren ist sie von Zuhause ausgezogen und hat eine Wohnschule besucht», erzählt Sarahs Mutter Heike und ergänzt: «Kognitiv ist sie jedoch auf dem Stand einer 5- bis 7-Jährigen, sie hat keinen Bezug zu Geld und kein Zeitgefühl, sie kann sich nicht viel vorstellen unter Zukunft und Vergangenheit und den Konsequenzen ihres Handelns.»

Als Sarah 18 Jahre alt wurde, war der Moment gekommen, die Beistandschaft zu regeln: «Wir haben sie gefragt, wer diese Aufgabe für sie übernehmen soll. Sie wollte, dass ich das mache», sagt Heike. Als Beiständin koordiniert die Mutter die Arzttermine der Tochter und die Kontakte zu den Ämtern, sie unterschreibt Verträge, vertritt die Tochter bei der Krankenkasse und der Post, erledigt das Finanzielle und hinterlegt bei Handyverträgen eine Vollmacht. «Wir Besprechen alles zusammen, ich treffe keine Entscheidung über ihren Kopf hinweg. Es geht schliesslich um sie.»

Grosser administrativer Aufwand

Myriam ist Beiständin ihres Sohnes Jonas, 25. Auch sie und ihr Mann haben sich für eine Vertretungsbeistandschaft entschieden, den Anmeldeprozess bei der KESB empfanden sie aber geradezu als erniedrigend: «Bisher haben wir immer alles für unseren Sohn gemacht und bezahlt, niemand hat sich dafür interessiert, und jetzt mussten wir einen Strafregisterauszug und einen Betreibungsregisterauszug vorweisen, um zu beweisen, dass wir diese Aufgabe übernehmen können.» Jonas ist oft krank, die Kosten für seine Behandlungen muss Myriam über die Ergänzungsleistungen abrechnen: «Ich bin froh um die Erstattung der Kosten, aber wenn ich diesen Berg von Formularen ausfülle, komme ich mir oft vor wie eine Bettlerin», sagt Myriam.

Er kann sich verbal nicht so gut ausdrücken, wenn er etwas nicht versteht, schweigt er oft. Wir können sein Sprachrohr sein.

Tanya hat die Beistandschaft für den 21-jährigen Sohn zusammen mit ihrem Mann übernommen. Dass sie als Familie den Sohn so gut kennen, sieht sie als grosses Plus dieser Familien-Beistandschaft: «Er kann sich verbal nicht so gut ausdrücken, wenn er etwas nicht versteht, schweigt er oft. Wir können sein Sprachrohr sein.» Priska hat sich für ihren Sohn Fabian für eine geteilte Vertretungsbeistandschaft entschieden. Weil sowohl sie als auch ihr Ex-Mann sich mit finanziellen Fragen nicht so gut auskennen, haben sie entschieden, dies an eine externe Berufsbeiständin zu übergeben. Für alles andere ist die Mutter zuständig. Sie bespricht alles mit ihrem Sohn: «Aber letztlich entscheide ich.»

Wenn Angehörige allerdings die eigenen Gefühle auf die Person projizieren, die sie unterstützen wollen, wenn die Abgrenzung in der zwischenmenschlichen Verbundenheit fehlt oder wenn es Eltern und Fachpersonen nicht gelingt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen, dann kann die Beziehungsnähe von Angehörigen als Beistandschaft auch ein Stolperstein sein.

 

Der Blick von aussen

«Eltern haben ein grosses Expertenwissen. Sie sind eine gute Ressource für die Betroffenen sowie für das Betreuungsumfeld. Die Kontinuität in der Begleitung, der regelmässige persönliche Kontakt, das Vertrauensverhältnis und ihre Flexibilität sind wichtige Pluspunkte von Familienbeiständ*innen», sagt Rahel Widmer. Sie leitet die Beratungsstelle für private Beistände und Beiständinnen der Sozialen Dienste der Stadt Zürich. «Eine Beistandschaft zu führen, heisst aber auch, in verschiedenen Rollen gefordert zu sein. Es beinhaltet die Kunst, Ambivalenzen auszuhalten und den Spagat zwischen Wünschbarem und Machbarem zu schaffen. Wenn Angehörige allerdings die eigenen Gefühle auf die Person projizieren, die sie unterstützen wollen, wenn die Abgrenzung in der zwischenmenschlichen Verbundenheit fehlt oder wenn es Eltern und Fachpersonen nicht gelingt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen, dann kann die Beziehungsnähe von Angehörigen als Beistandschaft auch ein Stolperstein sein.» Rahel Widmer informiert die Angehörigen über Rechte und Pflichten, aber auch über die Möglichkeit, Teilaufgaben der Beistandschaft auf Berufsbeiständ*innen zu übertragen, wenn die Aufgabenerfüllung mit einer Überforderung verbunden ist.