«Die Arbeit im Service hat mir gefehlt, aber wir sind zusammen durch diese Krise gegangen»

Autor

Susanne Schanda

Veröffentlicht am

Gastrobetriebe haben die wirtschaftlichen Einbussen in der Pandemie besonders zu spüren bekommen. Manche mussten schliessen und Angestellte entlassen. Ein inklusiver Betrieb in Schaffhausen hat die zwei Lockdowns mit Einfallsreichtum, Einsatz und Herz überstanden und ist an der Krise sogar gewachsen.

Mitten in der Altstadt von Schaffhausen hat Claudine-Sachi Münger, die durch ihre Cousine mit Down-Syndrom früh für das Thema Beeinträchtigung sensibilisiert worden ist, einen inklusiven Begegnungsort eröffnet, in dem Menschen mit und ohne Behinderung kochen, servieren, verkaufen, putzen und waschen. Neben der Weinstube, die mittags und abends Essen anbietet, hat es im gleichen Gebäude einen kleinen Laden, Büros und möblierte Studios, die monatsweise vermietet und unterhalten werden.

Ich habe schon damals versucht, trotz der Schliessung der Weinstube einige Tätigkeiten weiterzuführen.

Der Betrieb lief 2019 gut an. Dann kam Corona. «Ich habe schon damals versucht, trotz der Schliessung der Weinstube einige Tätigkeiten weiterzuführen», erinnert sich die Geschäftsführerin. «Die möblierten Studios konnten weiterhin geputzt und die Wäsche gewaschen werden. Für die zusätzliche Corona-Hygiene setzte ich eine Person aus der Weinstube ein. Für den kleinen Laden, in dem wir regionale Produkte verkaufen, bauten wir einen Online-Shop auf. Dafür machte Zelda die Fotos der etwa 400 Produkte.»

Die Chefin und eine Mitarbeiterin stehen lächelnd vor dem Restaurant.

Claudine-Sachi Münger mit der Mitarbeiterin Zelda Mäder beim Eingang des Restaurants Tanne in Schaffhausen. © Vera Markus

Zelda Mäder arbeitet normalerweise im Service. Sie ist eine der 11 Heroes, wie die Angestellten mit Handicap im Betrieb von Claudine-Sachi Münger genannt werden. «Die Arbeit im Service hat mir gefehlt, aber wir sind zusammen durch diese Krise gegangen. Das hat uns zusammengeschweisst.»

Die Geschäftsführerin ist voll des Lobes für ihre Heroes, die sich flexibel mit der schwierigen Lage arrangiert hätten: «Nik hat mittags Essen ausgeliefert, Dominique hat viel geputzt, und für Katharina war es am Anfang des zweiten Lockdowns sogar ein Vorteil, dass wir noch keine Gäste hatten, so konnte sie in der Küche in Ruhe die Ravioli für den Verkauf produzieren.»

Eine junge Frau im grünen T-Shirt schaut aus dem Fenster der Beiz.

«Die Arbeit im Service hat mir gefehlt, aber wir sind zusammen durch diese Krise gegangen. Das hat uns zusammengeschweisst.»

Ein Herzensprojekt findet Unterstützung

Bereits bei der Lancierung der Tanne hatte Claudine-Sachi Münger auf Crowdfunding gesetzt, um die Einrichtung der Weinstube zu finanzieren: «Dabei habe ich gelernt, dass man mit seinem Projekt rausgehen muss zu den Leuten und zeigen, was man macht. Es ist ja mein Herzensprojekt!» Der Erfolg war überwältigend. Nicht nur, weil die benötigten 25’000 Franken zusammenkamen, sondern auch, weil dadurch eine Community geschaffen wurde, Fans, eine Stammkundschaft für das inklusive Projekt.

Dabei habe ich gelernt, dass man mit seinem Projekt rausgehen muss zu den Leuten und zeigen, was man macht. Es ist ja mein Herzensprojekt!

Als sich Ende 2020 abzeichnete, dass der zweite Lockdown länger dauern würde, lancierte die Chefin ein weiteres Crowdfunding für ein Beschäftigungsprogramm für die 11: «Wenn wir fünf Monate lang nichts gemacht hätten, uns nie gesehen und nie miteinander gesprochen hätten, weiss ich nicht, was mit den Heroes in dieser Zeit allein zu Hause passiert wäre. Deshalb habe ich Anfang Jahr angekündigt, dass wir ab Februar wieder arbeiten.»

Wenn wir fünf Monate lang nichts gemacht hätten, uns nie gesehen hätten, weiss ich nicht, was mit ihnen passiert wäre.

Die Weinstube musste zwar geschlossen bleiben, aber in der Küche wurden Ravioli gefüllt und Saucen gekocht, die über das Crowdfunding und Partnerbetriebe verkauft wurden.

Das Erfolgsrezept – eine Mischrechnung

Eine Erfolgsgeschichte mitten in der Corona-Krise, wie ist das möglich? Wie sieht das Erfolgsrezept aus? Claudine-Sachi Münger und Zelda Mäder schieben sich gegenseitig Komplimente zu: «So eine Chefin wie dich zu haben, mit so guten Ideen, ist super, du bist einzigartig!» – «Das sind wir alle. Ich habe immer ein grosses Vertrauen vom Team gespürt, auch die Bereitschaft, einmal andere Arbeiten zu übernehmen als die Lieblingsarbeit, und die gegenseitige Unterstützung. Wir sind als Team durch diese Krise gegangen.»

Ich habe immer ein grosses Vertrauen vom Team gespürt, auch die Bereitschaft, einmal andere Arbeiten zu übernehmen als die Lieblingsarbeit.

Doch die Tanne hat auch von aussen Unterstützung bekommen. Die Stadt Schaffhausen als Eigentümerin der Liegenschaft hat im ersten Lockdown ein Viertel des Mietzinses für die Weinstube erlassen und im zweiten Lockdown eine umsatzabhängige Miete verrechnet. Ausserdem hat die Jakob und Emma Windler-Stiftung im ersten Betriebsjahr die Löhne der Heroes übernommen und das Saucen-Projekt unterstützt.

Ob das Saucen-Projekt während des zweiten Lockdowns finanziell wirklich rentiert habe, sei letztlich nicht so wichtig, aber: «Die Saucen sind gut geworden und haben uns ermöglicht, wieder in den Betrieb einzusteigen.» Und die Geschäftsführerin weiss: «Wer motiviert ist, Wertschätzung spürt und Freude an der Arbeit hat, arbeitet auch besser. Da kommt so viel zurück!» Das Rezept zahlt sich und trägt Früchte. Soeben hat Claudine-Sachi Münger mit ihrem Team einen zweiten Standort eröffnet – das Café mit Herz.

Tanne Schaffhausen – ein inklusiver Betrieb

Im April 2019 wurde die Tanne Schaffhausen als inklusiver Betrieb mit Weinstube, Tanneladen und möblierten Studios eröffnet. Sie bietet 11 Menschen mit Beeinträchtigung und drei Unterstützern eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Claudine-Sachi Münger führt den Betrieb als GmbH ohne staatliche Subventionen. Die Mitarbeitenden mit Handicap kommen über die Personalvermittlung mitschaffe.ch, welche ihnen auch einen Lohn bezahlt und sie in Fragen der IV und EL berät. Die Tanne arbeitet mit zahlreichen lokalen Partnern und Lieferanten.