Wie fülle ich meinen Wahlzettel aus? Wo muss ich unterschreiben?

Autor

Susanne Schanda

Veröffentlicht am

Im Herbst 2023 stehen die nächsten eidgenössischen Wahlen an. Auch Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung wählen. Deshalb erarbeiten insieme und Capito Zürich eine politisch neutrale Wahlanleitung in Leichter Sprache – zusammen mit einer Begleitgruppe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.

Wie fülle ich meinen Wahlzettel aus? Wo muss ich unterschreiben? Dies sind einige der Fragen, die sich für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung stellen, wenn sie ihre Wahlunterlagen erhalten. Um diese und weitere Fragen zu beantworten, erarbeitet insieme die Wahlanleitung 2023 zusammen mit einer Begleitgruppe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, die hier als Expert*innen in eigener Sache mitwirken. Der erste Workshop findet an einem Samstag im Demokratie-Turm des Polit-Forums in Bern statt, in unmittelbarer Sichtweite zum Bundeshaus.

 

insieme und Capito Zürich erarbeiten eine politisch neutrale Wahlanleitung in Leichter Sprache – zusammen mit einer Begleitgruppe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. © Vera Markus

Am ersten Tisch geht es um die Frage, wie die Broschüre illustriert werden soll. «Eine farbige Illustration ist einfacher zu verstehen als ein Foto des Parlamentssaals. Auf dem Foto sind zu viele Sachen drauf, das lenkt ab», sagt Sabrina Gaetani. «Ich verstehe das Foto besser, aber es könnte etwas kleiner sein», entgegnet Andreas Rubin.

«Eine farbige Illustration ist einfacher zu verstehen als ein Foto des Parlamentssaals. Auf dem Foto sind zu viele Sachen drauf, das lenkt ab»

Chris Schütz wiederum findet die Grafik besser und Christoph Linggi argumentiert für ein Foto: «Im Fernsehen sieht man immer Aufnahmen vom Parlamentssaal, so kennt man ihn, das gibt den Wiedererkennungseffekt.» Die Broschüre soll in Leichter Sprache geschrieben sein, aber auch die visuelle Gestaltung ist wichtig für die Zugänglichkeit.

Die Broschüre soll in Leichter Sprache geschrieben sein, aber auch die visuelle Gestaltung ist wichtig für die Zugänglichkeit.

Denn die Wahlanleitung soll schliesslich dazu beitragen, dass Menschen, welche die offiziellen Wahlerklärungen der Behörden nicht verstehen, selbständig ihre Wahlzettel ausfüllen können. insieme Schweiz hat bereits bei den letzten Wahlen 2019 eine Wahl-Broschüre publiziert. Diese sowie zwei Wahlanleitungen von Capito dienen als Grundlage der aktuellen Arbeit. Die Frage dabei: Was können wir diesmal besser machen?

Eine Frau zeigt eine Broschüre.

Die Wahlanleitung soll dazu beitragen, dass Menschen, welche die offiziellen Wahlerklärungen der Behörden nicht verstehen, selbständig ihre Wahlzettel ausfüllen können.© Vera Markus

Am zweiten Tisch wird die Frage diskutiert: Welche Themen müssen in die Wahlanleitung? Erklärt wird etwa, was der Nationalrat ist und was der Ständerat, wie viele Mitglieder die beiden Räte haben, welche Aufgaben das Parlament hat und was Parteien sind. Als es darum geht, wie ein Modell-Wahlzettel abgebildet werden soll, in Originalgrösse oder kleiner, schreibt Nelly Riesen auf ihrem Laptop, über den sie kommuniziert: «Eine klare Skizze reicht, der gezeichnete Wahlzettel muss nicht gleich gross sein wie das Original, die Schweizerkarte ist schliesslich auch kleiner als die Schweiz.» Und was die Textmenge in der Broschüre angeht, schreibt sie: «Immer nur so viel wie notwendig.» Iwan Flury ergänzt: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich.»

 

insieme fordert: Politische Rechte für alle

Mit der Wahlhilfe in Leichter Sprache hat insieme Schweiz das Thema «Wahlrecht von Menschen mit geistiger Behinderung» 2019 lanciert. Die Wahlhilfe richtete sich explizit an Personen, die bereits wählen und abstimmen dürfen. Damit stellte sich in der Öffentlichkeit zugleich die Frage, wer aus welchen Gründen vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen wird. Aktuell sind in der Schweiz Menschen, die unter einer umfassenden Beistandschaft stehen, von den politischen Rechten ausgeschlossen und dürfen weder wählen noch abstimmen. Der Ausschluss ist in Artikel 136 der Bundesverfassung verankert und im Gesetz über die politischen Rechte an die umfassende Beistandschaft und den Vorsorgeauftrag geknüpft. insieme Schweiz setzt sich für politische Rechte für alle ein und fordert daher, die Rechtslage dahingehend zu ändern, dass sie im Einklang mit der UN-BRK steht und der Ausschluss von Menschen mit einer Behinderung von den politischen Rechten aufgehoben wird.

Eine ebenso anspruchsvolle wie wichtige Arbeit

Nach dem ersten Workshop wurde beschlossen: Es soll ein logischer Ablauf gemacht werden mit den Fragen: Warum wählen? Wen wählen (Nationalrat, Ständerat, Parteien)? Wie wählen? Schwierige Begriffe wie das Panaschieren und Kumulieren sollen gleich am Anfang erklärt werden, Majorz oder Proporz dagegen erst am Schluss im Wörterbuch, weil es nicht das Wählen selbst, sondern das Auswerten der Stimmen betrifft. Eine Doppelseite soll jeweils eine Abbildung enthalten sowie einen erklärenden Text daneben.

Schliesslich fasst Tabea Mündlein von insieme Schweiz die offenen Fragen fürs nächste Treffen der Begleitgruppe zusammen: «Braucht die Broschüre ein Inhaltsverzeichnis? Wenn ja, wie viel Information soll dort stehen? Braucht es am Ende der Broschüre ein umfassendes Wörterbuch?»

Beim nächsten Workshop wird Capito bereits eine vorläufige Version der Wahlanleitung vorlegen, die dann auf ihre Tauglichkeit überprüft wird.

«Der Austausch und die Zusammenarbeit mit einer Begleitgruppe ermöglicht es jedes Mal aufs Neue, wertvolle Rückmeldungen zu erhalten und somit etwas zu erarbeiten, das noch besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung abgestimmt ist. Obwohl die Teilnehmenden bereits in die Ausarbeitung der Wahlanleitung 2019 stark involviert waren, bringen alle weitere Verbesserungsvorschläge ein», erklärt Jan Habegger von insieme Schweiz.