Das politische System der Schweiz steht im Zentrum der Weiterbildung von ASA Handicap mental. Anne-Sophie Kupper, Verantwortliche des Programms Recht & Teilhabe, leitet den Kurs zusammen mit dem Selbstvertreter Pierre Weber.
«Die Schweiz ist ein Staat, der sich aus Kantonen und Gemeinden zusammensetzt. Wer gehört dazu?», fragt Anne-Sophie Kupper. Mehrere Teilnehmende rufen gleichzeitig: «Die Staatsbürger!» Was diese Personen verbindet, ist das Interesse für Politik.
«Ich lese Zeitung und schaue Nachrichten, das interessiert mich sehr», erklärt Lucien Zimmermann, 24 Jahre alt. Für Pierre Weber, um die 60, ist es bereits der fünfte Kurstag, den er mitgestaltet. Er ist seit fast zehn Jahren Mitglied im Vorstand von ASA Handicap mental und hat früher nicht gerne öffentlich gesprochen. Doch inzwischen hat er Selbstvertrauen gewonnen: «Das kommt nach und nach. Ich habe auch vieles gelernt, man lernt immer», sagt der Selbstvertreter, der «selbstverständlich» seine politischen Rechte ausübt.
«Ich lese Zeitung und schaue Nachrichten, das interessiert mich sehr»
Lucien Zimmermann
Auf dem Slide, der auf dem Projektionsschirm angezeigt wird, sieht man die Logos der verschiedenen Parteien. «Wir haben die wichtigsten politischen Parteien der Schweiz genommen», erklärt Pierre Weber. «Im Namen der Sozialdemokratischen Partei steckt der Begriff sozial … das heisst, sie steht für die Bürger ein», antwortet Lucien auf die Frage, welches die Hauptpunkte sind, die diese Partei vertritt.
Und wofür steht die SVP? Ist sie auch für die Natur?
«Und wofür steht die SVP? Ist sie auch für die Natur?», fragt Laura Manfredi. «Nein, das gehört nicht zu ihren Hauptthemen. Sie sind mehr für die Verteidigung des Landes», erklärt Pierre Weber.
Legislative, Exekutive, Referendumsrecht …
Zeitungsausschnitte ermöglichen es, die Themen konkreter anzugehen. In einem wird das Ende der Benzinrasenmäher behandelt: «Es geht darum, gegen die Umweltverschmutzung zu kämpfen! Das ist ein Thema der Grünen», ruft Laura Manfredi. «Sie würden also von Hand mähen? Einige Leute sind dafür, andere dagegen», überlegt Céline Beutler laut.
Es ist gut, unterschiedliche Artikel zu lesen, Radio zu hören oder an einer Gesprächsgruppe teilzunehmen.
Anne-Sophie Kupper beschliesst dieses Kapitel, indem sie sagt, man könne schon der Meinung einer Partei folgen, wenn man wählt, es sei aber auch wichtig, sich über andere Kanäle zu informieren: «Es ist gut, unterschiedliche Artikel zu lesen, Radio zu hören oder an einer Gesprächsgruppe teilzunehmen. Jeder muss für das stimmen, was er am besten findet.» Vor der Pause wird ein kurzer Film über das politische System der Schweiz gezeigt. Anschliessend werden unterschiedliche Elemente herausgegriffen und thematisiert: direkte und halbdirekte Demokratie, Referendum, Petition, Wahlrecht. Diese Konzepte beziehen sich auf andere, die früher in der Ausbildung angesprochen wurden.
Mehrmals fasst Anne-Sophie Kupper das Gesagte zusammen und stellt der Gruppe Fragen: «Was ist ein Bürger? Erinnert ihr euch an die Bedingungen, unter denen man abstimmen und wählen darf?»
Was ist ein Bürger? Erinnert ihr euch an die Bedingungen, unter denen man abstimmen und wählen darf?
Nach einer Diskussion über das Alter, ab dem man stimmberechtigt ist, und einer Überlegung über die Frage der Verantwortlichkeit für das eigene Handeln werden das Wahlrecht und spezifisch die Erneuerung des Parlaments im Oktober thematisiert. «Wir werden alle Berset wählen, er ist in allen Zeitungen!», ruft Lucien aus.
Das nimmt Anne-Sophie Kupper als Anlass, um zu sagen, dass die Schweizer Bevölkerung die Legislative wählt, die wiederum die Exekutive wählt. Letztere führe aus, erklärt sie: «Etwa während der Pandemie hat der Bundesrat entschieden, die Läden zu schliessen.»
«Darf man bei den Nachbarn anklopfen und sie fragen, ob sie unterschreiben?», fragt Céline Beutler. Auch das Referendumsrecht löst konkrete Fragen aus, auf die Pierre zu antworten versucht: «Man braucht ein Dossier und Argumente. Es ist ein wenig, wie wenn du in der Institution etwas Neues machen möchtest: Du formulierst einen Vorschlag, lässt ihn von den Bewohnenden unterzeichnen, und dann unterbreitest du ihn der Institution.»
«Darf man bei den Nachbarn anklopfen und sie fragen, ob sie unterschreiben?»
Céline Beutler
Waadtländer Besonderheit
Die letzte halbe Stunde ist für eine Waadtländer Besonderheit reserviert: hier dürfen Personen, die unter umfassender Beistandschaft stehen, ihre politischen Rechte (wieder) ausüben. «Man muss zu einem Arzt gehen, der prüft, ob man urteilsfähig ist. Wenn dies der Fall ist, stellt er ein medizinisches Zeugnis aus, das man bei der Gemeinde abgeben muss», erklärt Pierre Weber. Auch wenn nicht alle Personen der Gruppe wählen, hören sie den Erklärungen dennoch aufmerksam zu.
«Ich wusste nicht, wie die Schweiz organisiert ist. Ich habe in diesem Kurs viel gelernt. Aber ich weiss nicht, ob ich jemals wählen werde», sagt Noémie Bovey, 34. Aus «Angst, einen Fehler zu machen», hat Lucien bisher noch nie an einer Abstimmung oder einer Wahl teilgenommen. Doch dann fügt er mit Nachdruck hinzu: «Letzte Woche, nach dem ersten Kurstag, sagte ich meiner Mutter, dass ich wählen möchte.»•
«Ich wusste nicht, wie die Schweiz organisiert ist. Ich habe in diesem Kurs viel gelernt. Aber ich weiss nicht, ob ich jemals wählen werde»
Noémie Bovey