Mit der Snoezelen-Methode, die aus den Niederlanden stammt, können Menschen in eine Atmosphäre begleitet werden, die Entspannung und Stimulation verbindet. Reportage über eine Snoezelen-Stunde mit zwei Bewohnerinnen der Stiftung Les Perce-Neige in Les Hauts-Geneveys (NE).
Leise Musik erfüllt den Raum. Kleine, runde Lampen in wechselnden Farben schaffen eine magische Atmosphäre. Auf einem weissen Vorhang ziehen Landschaftsbilder vorbei, erzeugt von einem Projektor, den Béatrice Dubied bedient. Sie begleitet zwei Frauen beim Snoezelen: «Heute führe ich euch zu den Wolken. Wir sehen den Himmel …» – … «blau!», ergänzt die 51-jährige Mireille Holzer umgehend. Sie liegt ausgestreckt auf einem grossen Schaukelstuhl. Hélène Delhayé, 74, sitzt auf einem Sofa. Beatrice Dubied fährt fort: «Man sieht Wolken wie aus Watte. Gerne würde man darauf schlafen.» Mireille lacht. Die Begleiterin schlägt vor, dass jede ihre eigene Wolke bastelt: aus einem weissen Beutel, der mit Watte und Luftballons gefüllt ist. Mireille, ganz in Lila gekleidet, wählt einen passenden Ballon aus und streichelt sich mit ihrer «Wolke» die Wange. Hélène entscheidet sich für einen gelben Ballon. Sie schüttelt ihre «Wolke», um so das Rascheln des Materials zu hören. Dann setzt sie ihre Teddybären Damien und Guy darauf.
Wolken zum Anschauen, Hören und Schmecken
Die Zeit verstreicht langsam. Die beiden Klientinnen bewundern die Bilder, äussern ihre Vorliebe für Sonnenuntergänge und bestaunen die Schönheit der Tannen. Sie entdecken Dörfer, Berge, Wälder und Meere aus cremigen Wolken. «Manchmal sehen sie aus wie Schlagrahm », kommentiert die Begleiterin. Sie nimmt eine Dose Schlagrahm und gibt den beiden Frauen je einen Klacks davon auf die Hand. «Reiben», empfiehlt sie. «Das sieht aus wie Schaum», meint Mireille. «Ja, es ist wie in den Wolken.» Und es macht Spass zu hören, wie die Schaumblasen platzen, wenn der Schlagrahm auf der Handfläche schmilzt.
Dann erzählt Béatrice Dubied eine Geschichte, einfach und reich zugleich, die eine Wolke als ein Gesicht zeigt, das uns anlächelt – eine beruhigende Erscheinung. Mireille reagiert heftig und muss immer wieder lachen. Hélène blickt konzentriert, ihre Augen sind auf den Boden gerichtet. Die Erzählung geht zu Ende, die Bilder verblassen. Nun kommt eine Wassersäule zum Einsatz: Luftblasen sprudeln und steigen in einem Licht auf, das ständig die Farbe wechselt. Dank der Stille können die beiden Frauen durch ihre Gefühle und die Geschichte reisen, die sie eben gehört haben. Es folgt ein Gespräch über die Figuren der Geschichte.
Meringues und Rock ’n’ Roll
«Jetzt zeige ich euch eine Wolke, die man essen kann», verkündet die Leiterin. Sie reicht den beiden einen Becher mit einer Meringue. In dieser Atmosphäre werden die Ohren so empfindsam, dass man sogar hört, wie die Meringues knirschen, wenn sie mit dem Löffel zerdrückt werden. Béatrice fragt Hélène, ob sie ihren Plüschtieren etwas davon gegeben habe. «Nein, das haben sie nicht gern.»
Die Sitzung neigt sich langsam dem Ende zu. «Es ist wunderbar hier, ich kann mich entspannen», sagt Hélène, die einmal die Woche hierherkommt. Ab und zu lässt sie sich gerne vom Inhalt der Sitzung überraschen, manchmal hat sie lieber die Wahl. «Vor allem Musik.» Sie summt: «Ta ta taa, ta ta tadaaa, ta ta taa, taaadaaa! …» Ein «Deep Purple»-Song! Sie ist ein Fan der Band. Mit ihrem rechten Fuss klopft sie energisch den Rhythmus. «Da ist wohl ein kleiner Rock-Moment fällig», meint Béatrice. Allgemeine Zustimmung. Die Begleiterin und Mireille schütteln die Rasseln, während Hélène mit einem Stock und einem Metallbesen auf die Tamburine schlägt. Sie gibt alles, und zwar mit einer erstaunlichen Präzision. Auf ihrem Gesicht, das bisher wenig Emotionen zeigte, wird jetzt ein deutliches Lächeln sichtbar. Mireille ermutigt sie: «Los, Hélène, weiter so …!» Die CD startet mit «Smoke on the water», die Frauen spielen weiter auf ihren Instrumenten – als wäre man mitten in einem Konzert. Nach der Entspannung mit angenehmen Gefühlen sind sie jetzt voller Energie.
Multisensorischer Raum
Diese Sitzung war sehr vielfältig. Laut Béatrice werden normalerweise weniger Stimuli gleichzeitig eingesetzt. Das Snoezelen wurde in den 1970er-Jahren in den Niederlanden entwickelt. Der Begriff ist eine Kombination von «snuffelen», was fühlen, kuscheln bedeutet, und «doezelen» für entspannen, dösen. Die Klienten finden im Snoezelen-Raum eine friedliche und sichere Umgebung vor. Um mit ihnen in Kontakt zu treten, setzt die Leiterin gezielt Anreize ein. Diese bieten die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, Wünsche zu äussern und das Selbstwertgefühl zu steigern.
Eine Sitzung dauert in der Regel etwa eine Stunde. Bei den Gruppensitzungen schlägt Béatrice jeden Monat ein anderes Thema vor, zum Beispiel «Thailand», «Rosen», «Korsika», «der See», «der Baum» oder auch «der Flohmarkt». Sie bietet aber auch Sitzungen ohne Thema an, deren Ablauf einfach, aber ritualisiert ist: mit Musik, Licht, Fussmassage und einer Geschichte. Einige Teilnehmerinnen bevorzugen allerdings Einzelsitzungen.
«Wenn man eine Person im Raum begleitet, muss man sie und ihre individuelle Geschichte kenne. So darf man etwa keine Papiere liegenlassen, die zerrissen und verschluckt werden könnten. Oder man projiziert keine sich bewegenden Sternen an die Decke, wenn dies die Person stressen könnte.»
Béatrice Dubied, Snoezelen-Spezialistin
Bei dem Angebot werden die drei Formen der basalen Stimulation angewendet: die somatische (Haut, Geruch, Geschmack), die vestibuläre (Körper- und Augenbewegungen) und die vibratorische (Stimme, Vibrationen, Musik). Die Teilnehmenden wenden sich dann ihrer bevorzugten Wahrnehmung zu. Eine Person mit Epilepsie experimentiert ausserhalb des Snoezelen-Raums kaum mit den eigenen Bewegungen, da dies Anfälle auslösen könnte. Beim Snoezelen entscheidet sie sich für die vestibuläre Stimulation, die sie im Schaukelstuhl erleben kann, ohne sich dabei zu gefährden. Oder für einen Menschen mit Mehrfachbehinderung, der sehr viel im Rollstuhl sitzt, bietet das Snoezelen-Umfeld eine neue Erfahrung: Sein Körper liegt auf einem vibrierenden und beheizten Wasserbett. «Wenn man eine Person im Raum begleitet, muss man sie und ihre individuelle Geschichte kennen», betont Béatrice. So darf man etwa keine Papiere liegenlassen, die zerrissen und verschluckt werden könnten. Oder man projiziert keine sich bewegenden Sternen an die Decke, wenn dies die Person stressen könnte.
Ein expandierendes Konzept
Das Snoezelen- Angebot wurde in Les Perce-Neige in den 1990er-Jahren auf Initiative einer Mitarbeiterin am Standort Lignières (NE) lanciert. Ein paar Jahre später erhielten Béatrice Dubied und drei weitere Kolleginnen die Genehmigung der Geschäftsleitung, das Angebot weiterzuführen. Der Raum in Les Hauts-Geneveys, der seit 2004 in Betrieb ist, kommt der ganzen Stiftung zugute: Älteren und Jüngeren, Werkstattmitarbeitern – und sogar den Angestellten zur Prävention von Überbelastung. Das Konzept ist mittlerweile an mehreren Standorten der Institution eingeführt. Um ihre Kenntnisse zu vertiefen, absolvierte die Fachfrau eine vierjährige modulare Ausbildung bei der Internationalen Snoezelen-Vereinigung (ISNA), die in Grandson (VD) ein Zentrum betreibt. Zwei weitere Mitarbeiterinnen haben diesen Kurs ebenfalls besucht. Béatrice Dubied bietet jedes Jahr einen Einführungskurs an, der allen interessierten Angestellten offensteht. Während einer Woche begleiten mindestens 15 Sozialpädagoginnen und andere Fachleute die Klienten.
Will eine Institution das Snoezelen anbieten, kann sie sich ein Basispaket beschaffen, bestehend aus einer Wassersäule, Lichtquellen, einem Projektor für visuelle Effekte (Farbdrehscheibe, Tiere, Landschaften) und einem Soundsystem, empfiehlt die Fachfrau. Kostenpunkt: etwa 10 000 Franken. Noch besser, wenn ein Wasserbett hinzukommt (weitere 5000 Franken), damit alle drei Formen der Grundstimulation vorhanden sind. Es gibt verschiedene Anbieter für Spezialgeräte, darunter Thieme, Riedel oder Petrarque.
Snoezelen zu Hause in den eigenen vier Wänden
Snoezelen kann man auch zu Hause in der Familie praktizieren, indem man einen eigenen kleinen Snoezelen-Raum schafft. Dafür braucht es keine professionelle Ausrüstung. Equipment dazu findet man bei den grossen Anbietern von Möbeln und Haushaltgeräten. Die Fachfrau Béatrice Dubied gibt dazu ein paar Ideen: Für rund 100 Franken kann man eine einen Meter lange Glasfaserbox kaufen, die zauberhaftes Licht ausstrahlt. Attraktiv sind auch kleine Springbrunnen, Duftzerstäuber, Spielkugeln oder Nachtlichter, die Sterne projizieren. Oder auch Spiegel, die Volumen geben, sodass man sich anders wahrnimmt als im Spiegel im Badezimmer oder in der Garderobe. Gewisse Materialien kann man mit etwas Fantasie selbst basteln, oder man ändert bereits vorhandene Gegenstände ab. Eine kleine Kiste voller farbiger Knöpfe erzeugt ein klirrendes Geräusch, wenn man die Hand hineinsteckt. Eine weitere Option ist, Lichter in eine durchsichtige Schachtel zu legen und Schablonen darauf zu fixieren. Mit einem Ventilator lässt sich ebenfalls spielen: Man kann Aromen versprühen, natürliche Stoffe (Kaffee, Orange, Schokolade, Vanille, Tannenzweige) oder ein paar Tropfen ätherisches Öl einsetzen. Am besten eignet sich ein ruhiger Ort, vielleicht eine Ecke im Schlafzimmer. Allerdings sollte dort weder Bett noch Schreibtisch stehen, auch darf es kein Spielbereich sein. Das Wichtigste ist eine Vielzahl von Reizen, aus denen die Person auswählen kann.
Dieser Artikel stammt aus dem im Dezember 2020 veröffentlichten insieme Magazin.