Seit die Bezeichnung «behindert» von Jugendlichen auf dem Pausenplatz als Schimpfwort verwendet wird, ist sie ein rotes Tuch. Die EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller will den Begriff «invalid» aus der Bundesverfassung streichen lassen. Manche plädieren für wertschätzende Bezeichnungen wie «mit besonderen Talenten». Aber was heisst das? Wir haben Menschen mit Behinderung und Angehörige nach ihrer Meinung gefragt.
Wie sprechen wir darüber?
Menschen mit Behinderungen werden sprachlich diskriminiert – das sagt Marianne Streiff-Feller, Berner Nationalrätin der EVP und INSOS- Präsidentin in einer Motion, die sie 2016 eingereicht hat. Die Motion wurde von Vertreterinnen und Vertretern aller politischer Lager mitunterzeichnet und fordert, dass der Begriff «invalid» in der Bundesverfassung ersetzt werde: «Mit der nach wie vor üblichen Verwendung des negativ besetzten Begriffes ‹invalid› wird eine betroffene Person auf ihre Behinderung reduziert und als nichtgleichwertiges Mitglied unserer Gesellschaft bezeichnet.» Die Motion wird möglicherweise in der Sommersession (Anm.d.Red.: 2018) behandelt.
Die Ausdrücke «invalid» und «Invalidität» werden in der Umgangssprache kaum noch verwendet. Sie finden sich nur noch im Kontext der Invalidenversicherung (IV). «Behinderung» ist der heute gängige Begriff bei den kantonalen Behörden und beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Einst war von Schwachsinnigen, Debilen oder Idioten die Rede, Begriffe, die heute als diskriminierend abgelehnt werden und aus behördlichen Dokumenten verschwunden sind.
Doch wann beginnt sprachliche Diskriminierung?
«‹Geistige Behinderung› – das ist ein No-Go! Geist haben wir oder haben wir nicht. Behindert sind nicht wir, die Behinderung kommt von aussen. Das kann eine Treppe sein für jemanden im Rollstuhl. Und dieser Jemand ist im Rollstuhl wegen seiner Beeinträchtigung. So ist das!» Esther Kessler von insieme Innerschwyz ist nicht im Rollstuhl, aber kognitiv beeinträchtigt. Diesen Ausdruck akzeptiert sie: «Es hat schon mit dem Denken zu tun», sagt sie und fasst sich an den Kopf.
Das Sprechen über Behinderung ist ein Minenfeld. Das weiss auch Nadine Zimmermann, die als FABE Betreuung in einem Behindertenwohnheim im Wallis arbeitet: «Rein vom Wort her sehe ich keinen Unterschied zwischen ‹Behinderung›, ‹Beeinträchtigung› oder ‹Handicap›. » Aber weil «Behinderung» manchmal als Schimpfwort verwendet werde und negativ besetzt sei, versuche sie das Wort zu vermeiden, erklärt sie. «Die Menschen sind ja nicht als Ganze behindert, sondern haben eine bestimmte Behinderung oder eben Beeinträchtigung.» Nadine Zimmermann hält diese Diskussion über Begriffe für wichtig, denn die Personen hätten es nicht gern, wenn man sie Behinderte nenne. Von der etwas vagen Bezeichnung «Menschen mit besonderen Bedürfnissen» hält sie nicht viel: «Das ist zwar gut gemeint, aber diese Personen haben keine besonderen Bedürfnisse, sondern die gleichen wie wir alle: Hunger, Liebe, Schlaf, Freizeit.» Das Problematische an dieser beschönigenden Umschreibung sei eben gerade das Wort besonders: «Es sondert die Menschen von den andern ab.»
Wie begegnen Angehörige dieser Frage nach den angemessenen Bezeichnungen? Wir haben zwei von ihnen gefragt.
Özlem Bächli, 26-jähriger Sohn mit Trisomie 21
Ich mag es in der Tat nicht, wenn man generell von den BEHINDERTEN redet. Das Wort kann man verschieden verwenden: Menschen sind behindert, weil sie bei irgendetwas behindert werden. Es ist wichtig, WIE wir die Sprache einsetzen. Früher hat man von den Debilen und Idioten geredet und meinte es ja nicht so … Ich will mir nicht immer überlegen, ob mein Vis-à-vis es herzig, unbewusst oder berechnend meint. Ich bevorzuge es, wenn wir von MENSCHEN mit… reden. Es soll vor allem auch den nicht Betroffenen KLAR werden, dass es sich hier um Menschen handelt, die etwas haben oder weniger haben.
In der Sprache drückt sich eine Haltung aus. Sprache wandelt sich. Wollen wir mit der Zeit gehen oder stehenbleiben? Den Begriff «invalid» sollten wir abschaffen, denn er bedeutet schlicht «nicht zu gebrauchen». Wie kann man einen Menschen so bezeichnen? Wenn jemand in unserem Verein den Begriff «Behinderung» oder «behindert» ablehnt, verstehe ich das. Im Gespräch versuche ich aber zu erklären, dass die Behinderung da ist und nicht geleugnet werden sollte. Aus diesem Grund ist die Person ja bei insieme und erhält unsere Unterstützung sowie eine IV-Rente. Und sie wird akzeptiert und wertgeschätzt wie andere auch. Wer ist schon nicht behindert? Ich wünschte mir vom insieme-Dachverband Empfehlungen zum Sprachgebrauch.
Doris Schütz-Andrist, 20-jährige Tochter mit Di-George-Syndrom
Unsere Tochter ist wie alle anderen in erster Linie ein Mensch. Wenn überhaupt Unterschiede gemacht werden müssen bei den Menschen, dann würde ich höchstens von Menschen mit Beeinträchtigungen sprechen. Wer kann denn schon entscheiden, wer behindert ist oder nicht? Für mich hat der Begriff «Behinderung» als solches zwar nichts Negatives. Aber in unserer Gesellschaft, und ganz besonders in der Umgangssprache unter Jugendlichen, ist «behindert» sehr abwertend, es wird oft als Schimpfwort gebraucht.
Im Internet ist es besonders schlimm, dort liest man schnell auch mal Bemerkungen wie: «Du bist doch behindert, dich hätte man abtreiben sollen.» Unsere 20-jährige Tochter ist oft im Internet unterwegs. Wenn sie solche Sprüche hört oder auf Facebook liest, trifft sie das hart. Dann will sie verständlicherweise nichts mit diesem Begriff zu tun haben oder ihn gar auf sich selbst beziehen. Sie hat das Di-George-Syndrom, das ist eine leichte kognitive Beeinträchtigung oder Lernschwäche, die man ihr nicht sofort anmerkt. Jetzt hat sie gerade eine IV-Anlehre als Hauswirtschafterin.
Dieser Artikel stammt aus dem im Juni 2018 veröffentlichten insieme Magazin.
Illustrationen: Svenja Plaas