Zum Welt-Down-Syndrom-Tag hoffe ich, ein paar Vorurteile abbauen zu können. Viele Personen glauben nämlich: Menschen mit Trisomie 21 sind immer lieb und fröhlich; sie können nur wenig lernen, nicht lesen oder schreiben; sie werden immer auf Hilfe angewiesen sein; und die Eltern dieser Kinder haben es schwer und sind zu bemitleiden.
Aber ein Besuch bei einem Jugendtreff von insieme 21 beweist mir das Gegenteil! Bei den Treffs können sich Jugendliche mit Trisomie 21 kennenlernen und ihre Aktivitäten selber planen und organisieren. Hier werden sie als gleichwertige Personen einer Gruppe wahrgenommen, sie können sich mit anderen vernetzen und als Erwachsene dann auch gemeinsam etwas unternehmen.
Hier werden sie als gleichwertige Personen einer Gruppe wahrgenommen
Wir treffen uns in einem grossen Tanzsaal. Als der Begleiter in die Runde fragt: «Seid ihr alle fit und munter»?, antwortet ein Junge: «Fit ja, aber munter noch nicht», und alle lachen. Ich sehe ich ein Mädchen, dass ganz in sich gekehrt ist und still in ihrem Buch liest. Ein Junge schreit quer durch den Raum einer Begleiterin zu, wie gern er sie hat. Ein anderer Junge setzt sich etwas ausserhalb der Gruppe hin, und wenn ich mich in seine Nähe setze, rückt er ein Stück weiter weg. Ein Junge und ein Mädchen plaudern angeregt und umarmen sich immer wieder – sie sind gute Freunde und haben sich vermisst.
Nach und nach wird die Stimmung lockerer
Der Reihe nach bedienen sich alle beim Buffet und es ist schön zu sehen, wie die Teilnehmenden langsam auftauen und zugleich auch die, die nicht reden wollen, in Ruhe lassen. Als nächstes haben die Jugendlichen noch die Möglichkeit, Fragen zur heutigen Aktivität, dem Bowlen, zu stellen. Die einzige Frage: «Wann ist der nächste Ausflug?» So wichtig sind den Jugendlichen diese Ausflüge!
Nun werden Vorschläge für den nächsten Ausflug gesammelt. Die Antworten kommen noch sehr zögerlich und vor allem von den Personen, die sowieso gerne reden. Aber auch das fühlt sich für mich ganz vertraut an. Über die Vorschläge Technorama, Skill Park oder Laser Tek wird mit Handheben abgestimmt. Eine klare Mehrheit zeichnet sich jedoch nicht ab, darüber werden beim nächsten Treffen nochmals diskutieren. Sie besprechen auch noch, wer nächstes Mal was zum Brunchen mitbringt.
Beim Bowlen gibt es drei Gruppe, und spätestens jetzt kommen die Jugendlichen untereinander ins Gespräch und spornen sich gegenseitig beim Spielen an. Aaron ist 15 Jahr alt, er geht in die reguläre 2. Sekundarschule und liebt Sport, Musik und Kochen. Er führt in seiner Gruppe gleich von Anfang an und gewinnt die erste Runde hoch. Er tanzt und hüpft vor dem Bildschirm mit der Punkteauflistung und schaut sich von Runde zu Runde genaustens seinen Punktestand an. Sein Ehrgeiz zu gewinnen ist gross und lässt ihn auch mal in die Hände klatschen, wenn seine Mitspieler die Pins verfehlen.
Während wir den Jugendlichen Beim Bowlen zusehen, erzählt mir die Geschäftsstellenleiterin von insieme21, dass ein Helfer ihr mal ganz überrascht berichtet hat: «Ein Teilnehmer hat beim Minigolfen die Punkte so schnell zusammengezählt, dass ich gar nicht mitgekommen bin, und das Resultat hat gestimmt.»
Und auf das Vorurteil, dass ihr Sohn immer fröhlich sei, sagt sie: «Komm mal vorbei, wenn mein Sohn hässig ist, dann ist er nicht mehr herzig». Von Menschen mit Trisomie21 dürfe man durchaus etwas erwarten und fordern: «Sie können lernen!»
Sozialkompetenz und Selbständigkeit muss man lernen, das geht allen gleich, ob mit oder ohne Behinderung.
Die Teilnehmenden merken, dass ihre Stimme wichtig ist und sie darin bestärkt werden, Neues auszuprobieren. Zugleich lernen sie, wie sie mit- und selber bestimmen können. Sozialkompetenz und Selbständigkeit muss man lernen, das geht allen gleich, ob mit oder ohne Behinderung.
Auf die Frage, was Trisomie21 für Aaron bedeutet, antwortet er: «Die Menschen mit Trisomie sind anders, aber eben auch nicht». Aaron ist ein sehr fröhlicher, offener und kommunikativer junger Mann. Vieles sieht bei Aaron heute ganz einfach aus – Velofahren, Skifahren, gewisse gesellschaftliche Regeln, selbständig Bus fahren -, aber dafür musste er lange üben. Sport und Musik sind seine Leidenschaften. Er nahm bereits mehrere Male am UBS Kids Cup «Special Olympics» teil. Seit neun Jahren spielt Aaron Cello und seit einigen Jahren auch ES-Horn. Zusammen mit seinem Bruder spielt er in einem Jugendblasorchester – die Begeisterung für Musik hat er von seinen Eltern.
«Die Menschen mit Trisomie sind anders, aber eben auch nicht.»
Aaron
Für mich war der Tag mit Menschen mit geistiger Behinderung wie immer ein bereichernder Tag. Ich habe die Jugendlichen mit Trisomie21 heute fröhlich, introvertiert, laut, traurig und herzlich erlebt. Ich habe gesehen, wie sie sich Notizen machen und das Protokoll lesen.
Ich weiss und bin überzeugt, dass Menschen mit geistiger Behinderung lernen können, möglichst selbständig und selbstbestimmt zu sein.
Ich weiss und bin überzeugt, dass Menschen mit geistiger Behinderung lernen können, möglichst selbständig und selbstbestimmt zu sein. Eltern von Menschen mit Behinderung haben es sicher teils schwer, aber meistens vor allem, weil sie für ihr Kind in der Gesellschaft einen Platz erkämpfen müssen. Vielfalt ist eine Chance, und dieser Vielfalt möchte ich noch viel häufiger begegnen.
«Möchten Sie Aaron gerne bowlen sehen? Dann schauen Sie sich eine kurze Videoreportage von ihm an»
Für Jugendliche wie Aaron, bietet insieme in 48 regionalen und kantonalen Vereinen Bildungs- und Freizeitangebote an.